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Bildung ist die stärkste Waffe gegen den Kapitalismus

Interview erschienen im links im August 2016

Liebe Tamara, herzliche Gratulation zur Wahl! Wen haben die Jusos da zur Chefin gemacht?

Ich bin 26, wohne in Bern und studiere seit einer Weile Geschichte und Sozialwissenschaften. Ich bin Migrantin – als ich drei Jahre alt war, zogen wir mit der Familie für sieben Jahre nach Sardinien. Das hat mich politisiert. Ebenfalls politisiert hat mich der Arbeitskampf meines Vaters in den Jahren 2008 und 2009 gegen die Massenentlassungen der Maschinenfabrik Wifag, wo er als Polymechaniker arbeitete.

Kommst du aus einem linken Elternhaus?

Ja, meine Eltern waren schon immer politisch aktiv, jedoch nicht in der SP, sondern vor allem im linken, ausserparlamentarischen «Kuchen» rund um die Reithalle in Bern. Sie waren auch in Nicaragua, um die Revolution zu unterstützen.

Wie bist du zur Juso gekommen?

Das war 2012: Ich sass in einer Vorlesung und der Professor sprach darüber, dass sich heutzutage niemand mehr in Vereinen engagiere. Ich dachte: «Wart du nur», nahm mein Handy und trat via Webseite der Juso bei. Politisch aktiv war ich aber schon davor. 2010 habe ich die «Juventud Brigadista» gegründet, die Jugendorganisation der von meinen Eltern in den 80ern geschaffenen «Brigada Latinobernese», die Kleinprojekte in Nicaragua unterstützt. Ausserdem bin ich seit dem Arbeitskampf meines Vaters Gewerkschaftsmitglied.

Durch deine Wahl bist du in die Öffentlichkeit gerückt. Wie fühlt sich das an?

Ich erhalte eine Plattform, die ich nutzen kann, um politische Inhalte zu platzieren, das ist sehr cool. Gleichzeitig ist die Anzahl Hassmails, die ich erhalte, wahnsinnig gestiegen. Da sind zum Teil wilde Sachen drunter – meist Bodyshaming, also Beschimpfungen, die auf meinen Körper abzielen, aber auch grobe Gewaltandrohungen. Kürzlich hat mir jemand eine Massenvergewaltigung gewünscht. Ich wurde auch schon auf der Strasse angeschrien. Das ist schon speziell.

Wird sich die Politik der Juso unter dem Präsidium einer Frau ändern?

Es gab vor mir erst eine Frau in diesem Amt, und zwar in den 70ern. Das zeigt auf, dass es immer noch nicht selbstverständlich ist, dass Frauen die gleichen Chancen haben wie Männer. Für die Politik der Juso spielt meine Wahl insofern eine Rolle, als ich Feministin bin und Feminismus einer meiner Schwerpunkte ist.

Welche Themen beschäftigen dich sonst noch?

Migration. Dass ich selber Migrantin bin, hat mich geprägt. Die Linke hat in diesem Thema zu wenig gemacht. Wir haben es nicht geschafft, zur Rechten ein Gegenprojekt aufzubauen.

Wie muss dieses Gegenprojekt aussehen?

Die Migrationsthematik hat zwar rechtsnationalistischen Parteien Aufschwung gegeben, gleichzeitig gibt es unglaublich viele meist junge Menschen, die ihre Jobs hingeschmissen haben, um in Griechenland oder auf Lampedusa Flüchtlingen zu helfen. Wir müssen diesen Menschen ein politisches Gefäss bieten und ihnen Antworten liefern, die sie in ihrem Engagement unterstützen und sie bekräftigen.

Wie lauten diese Antworten?

Das Thema Migration bietet uns die Möglichkeit, uns international zu vernetzen und internationalistische Lösungen zu finden. Wir müssen den herrschenden Diskurs aufbrechen, der die Grenzen zwischen Nationen zieht. Denn die Grenzen verlaufen nicht zwischen Nationen, sondern zwischen den Klassen.

Du giltst als EU-kritisch, wie passt das mit deinem Ruf nach mehr Internationalismus zusammen?

Die EU ist ein neoliberales Projekt. Vor kurzem war ich in Italien und habe beobachtet, wie vier alte Männer sich einen Espresso geteilt haben – einen Espresso für 80 Cent! Auch das ist die EU, dorthin hat sie uns geführt. Das Argument, die EU sei ein Friedensprojekt, gilt für mich nicht: Die EU hat den Krieg externalisiert, sie führt heute Krieg an ihren Grenzen. Seit Jahren schauen wir zu, wie im Mittelmeer Menschen ertrinken. Die EU führt uns nicht dorthin, wo ich hinwill. Ich will ein linkes Gegenprojekt, mehr internationale linke Vernetzung.

Das Problem ist doch nicht die EU als Institution, sondern die rechten Parteien, die die EU dominieren …

Ja, das sehe ich natürlich auch so. Und verstehe mich bitte nicht falsch. Wenn wir morgen der EU beitreten, dann wehre ich mich sicher nicht dagegen, ich stosse sogar darauf an. Aber sollen wir als Linke Energie aufwenden, um in diese Institution zu gelangen? Also ich will meine Energie da nicht reinstecken.

Die Juso hat momentan kein grösseres Projekt am Laufen. Was habt ihr als Nächstes vor?

Wir werden wieder ein Initiativprojekt lancieren. Im Moment können die Sektionen dazu Vorschläge einreichen, im November entscheidet die Basis.

Was wäre dein Wunschprojekt?

Ein Wunschprojekt habe ich nicht, ich bin aber überzeugt, dass das Thema Wirtschaft dabei zentral sein muss. Die Initiative muss die Machtfrage stellen: Wer hat Macht in unserem System – und wieso, zur Hölle?! Die Antwort darauf lautet: diejenigen, welche das Kapital haben. Diese Macht müssen wir grundlegend infrage stellen und schliesslich brechen.

Ist die Juso bereit für ein neues Projekt?

Wir haben einen grösseren Generationenwechsel hinter uns und die Quintessenz des Wahlkampfs 2015 war, dass wir eine Bildungsoffensive machen müssen. Die werden wir möglichst noch dieses Jahr lancieren. Bildung ist die stärkste und nachhaltigste Waffe gegen den Kapitalismus. Hier müssen wir ansetzen.

Worin wird man als Juso denn so gebildet?

Die Leute sollen in der Lage sein, eigenständig zu denken. Neoliberale und kapitalistische Gedanken beherrschen die Welt. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Und wir müssen den Leuten Alternativen aufzeigen. Wir sind nicht am Ende der Geschichte, es muss weitergehen. Im Vordergrund stehen Klassiker wie Marx, Gramsci, Lenin oder Rosa Luxemburg. Dabei versuchen wir immer, diese auf die heutigen Gegebenheiten anzuwenden. Und dann müssen wir dieses Wissen auf der Strasse umsetzen.