99 Jahre sind es her seit dem Landesstreik. Eine seiner wichtigsten Errungenschaften ist die Altersvorsorge. Und diese gerät immer mehr unter Druck.
Die AHV ist das Resultat von harten Arbeitskämpfen, die sich gelohnt haben. Denn die AHV ist das grösste Rückverteilungsprogramm, das die Schweiz je gesehen hat. Die Beiträge an die AHV werden zum grössten Teil in Form von Lohnabzügen geleistet. Diese sind für alle prozentual gleich hoch. Das heisst, Vasella zahlt gleich viele Prozente seines Lohns in die AHV ein, wie die Bauarbeiterin im Emmental. Ihre AHV-Renten sind gleich hoch, wenn sie gleich lang einbezahlt haben, denn die Renten sind gedeckelt.
Genau deshalb ist die AHV Teil des Klassenkampfes. Ein Teil, den wir gewonnen haben. Das haben nicht nur wir festgestellt, sondern auch die Lobbyist*innen der Reichen im Parlament. Aus diesem Grund steht die AHV, seit sie eingeführt wurde, unter massivem Druck. Dabei wird munter postfaktisch argumentiert und der Bundesrat liegt mit seinen Prognosen regelmässig mehrere Milliarden daneben. Doch die Wiederholung von falschen Argumenten ist anscheinend beliebter als es Fakten sind. Die Angstmacherei hat dazu geführt, dass das Vertrauen in die AHV massiv abgenommen hat. Zudem scheint die zuweilen schamlose Umverteilung von unten nach oben viele aus der Bevölkerung nicht zu empören. Die Kombination dieser zwei Faktoren ergibt die bewusste Stärkung der unsolidarischen und spekulativen Pensionskassen unter dem bürgerlich-neoliberalen Schlagwort der «Selbstverantwortung».
Schweigen der Linken
Die aktuelle Rentenreform 2020 zeigt erneut, wie die Umverteilung von oben nach unten funktioniert. Zwar kommt die Reform erst im März für die Schlussabstimmungen in den National- und Ständerat, aber die Eckpfeiler sind klar: Die zusätzlichen Renten für die Babyboomgeneration sollen durch ein zusätzliches Mehrwertsteuer-Prozent finanziert werden. Die Finanzierung wird an die Erhöhung des Frauenrentenalters und Senkung des Umwandlungssatzes in der 2. Säule geknüpft. Wenn wir Glück haben, kriegen wir dafür 70 Franken mehr AHV sowie kleine Verbesserungen in der 2. Säule.
Ein kleiner Trost für das, was die Menschen real und die Linke diskursiv verlieren. Der Erhöhung des Frauenrentenalters zuzustimmen, heisst, einer realen Verschlechterung der Situation der Frauen* zuzustimmen. Denn es sind die Frauen*, die diese Reform zum grossen Teil finanzieren müssen. Dies sei in Ordnung, weil die Frauen* heute den Männern* angeblich gleichgestellt seien, lautet die Begründung. Das ist gelinde gesagt eine Frechheit! Denn es bedeutet, zu ignorieren, dass Frauen* nach wie vor rund 20% weniger verdienen, dass sie einen Löwinnenanteil der unbezahlten Care-Arbeit leisten und dass sie weniger Zugang haben zu gut bezahlten Jobs.
Nichts desto trotz schweigt die Linke. Weil die Erhöhung der AHV um 70 Franken angeblich ein Sieg ist. Für diese 70 Franken bezahlen die Frauen* aber mehr, als sie bekommen! Wie können wir das als feministische Organisation vertreten?
Eigentlich ist es ganz einfach: Das Rentenalter von Arbeitenden, von Frauen* und Männern*, zu erhöhen, bedeutet immer auch, ihre Rechte zu verschlechtern. Daher können weder die Gewerkschaften noch die Linke für eine Rentenaltererhöhung sein. Wie sollen wir bei der nächsten Reform eine Erhöhung auf 67 oder gar 69 Jahre verhindern, wenn wir uns heute nicht wehren? Wie kann der Angst, aufgrund der Digitalisierung den Job zu verlieren, mit einer Forderung nach einer Senkung der Arbeitszeit entgegengewirkt werden, wenn wir einer faktischen Arbeitszeitverlängerung zustimmen?
Auf die Strasse!
Wir dürfen uns nicht trennen lassen. Die Erhöhung des Frauenrentenalters ist falsch, so wie es auch immer die Erhöhung des Männerrentenalters war und ist. Wir müssen die AHV für alle stärken, ohne dass die Arbeitenden dafür bezahlen müssen. Denn die Mittel dazu wären da. Nur wird heute damit die 2. Säule geflutet.
Egal wie man es dreht und wendet. Wir können bei dieser Reform nur verlieren. Die Frage ist, ob wir die Reform als Niederlage erkennen und sie aktiv auf der Strasse bekämpfen. Oder ob wir sie mittragen und stillschweigend dem langsamen, aber stetigen Niedergang einer der grössten linken Errungenschaften in diesem Land zuschauen.
Als JUSO sollten wir uns dafür entscheiden, zu kämpfen. Denn auf lange Sicht verlieren wir an Schlagkraft und verraten die Arbeitenden. Und wir, die junge Generation, werden bei der nächsten Reform der AHV kämpfen müssen. Und die kommt bestimmt.