Erschienen in der WoZ vom 17.01.2019
Wer über die Weihnachtsfeiertage die Zeitungen gelesen hat, hätte meinen können, die Frauenfrage würde gelöst, wenn wir nur eine angemessene Zahl weiblich sozialisierter Menschen in den Nationalrat wählen und ausserdem einigen weiteren zu CEO-Posten verhelfen würden. Von der Operation Libero über die Grünliberalen bis hin zur CVP haben alle ihre «feministische» Ader entdeckt.
Verstehen Sie mich nicht falsch – ich finde es gelinde gesagt eine Frechheit, dass lediglich 32,5 Prozent des Nationalrats weiblich sind, und ich finde es schön, dass nach fünfzig Jahren endlich auch ein Teil der Rechten merkt, dass diese Quote ohne konkrete Massnahmen nicht besser wird. Aber mal ganz ehrlich: Was nützt Karin Keller-Sutter der Asylbewerberin aus Eritrea? Was hat die Kassiererin im Coop von Magdalena Martullo-Blochers Politik? Genau gar nichts. Diese Politikerinnen sind nicht schlechter als rechte Männer – aber eben auch nicht besser.
«Proletarierin, Ärmste der Armen, Rechtloseste der Rechtlosen, eile zum Kampfe um die Befreiung des Frauengeschlechts und des Menschengeschlechts von den Schrecken der Kapitalherrschaft.»
Genau an diesem Punkt hat die Kritik Rosa Luxemburgs am bürgerlichen Feminismus bereits vor hundert Jahren angeknüpft. Und genau da knüpfen wir als linke FeministInnen heute wieder an: Es reicht nicht, eine einzige Form der Unterdrückung zu bekämpfen – man muss immer gegen sämtliche Unterdrückungsformen vorgehen. Alles andere führt nicht zu einer besseren, gerechteren, nachhaltigeren Gesellschaft, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert statt am Profit. Sondern lediglich zu einer Gesellschaft, in der die Macht am gleichen Ort bleibt und nur ein wenig anders verteilt wird.
Die Sozialistin Rosa Luxemburg hat alle Strukturen kritisiert, die Menschen in hierarchisierte Gruppen einteilen – sei das nach Klasse, nach Geschlecht oder nach «Rasse». Sie geht damit weiter als Karl Marx, der die Gesellschaft lediglich in «Arbeiter» und «Kapitalisten» einteilte, ohne weitere Ausbeutungsformen anzuerkennen. Luxemburg war somit eine Vordenkerin des Konzepts der Intersektionalität – des Verständnisses, dass es Mehrfachdiskriminierungen gibt und dass diese Formen der Ausbeutung untrennbar miteinander verbunden sind. So ist die Diskriminierungserfahrung der Kassiererin im Coop eine andere als die der Asylbewerberin aus Eritrea.
Wenn wir wollen, dass kein Mensch je wieder in Ketten liegt, ob diese nun metaphorisch sind oder nicht, muss unser Feminismus antirassistisch, antikapitalistisch, antinationalistisch und queer sein. Ein Feminismus für alle, nicht nur für weisse Oberschichtfrauen.
Es reicht also nicht, wenn Frauen angemessen an Verwaltungsratssitzungen vertreten sind. Die Verwaltungsratszimmer, in denen gegen Menschen und für Profite entschieden wird, müssen in Flammen stehen.
Denn, um es mit Luxemburg zu sagen: «Die Revolution ist grossartig, alles andere ist Quark.»