Erschienen in der SonntagsZeitung vom 18.08.2019
Zwei Dinge sind im Leben angeblich sicher – der Tod und die Steuern. Wenn man reich genug ist, stimmt das aber nur bedingt. Und ich meine damit nicht die Zweiklassenmedizin, sondern unser Schweizer Steuersystem. Dieses bietet zahlreiche Schlupflöcher für diejenigen, die von Kapitaleinkünften leben und nicht arbeiten müssen.
Am deutlichsten wird dies bei der Unterscheidung zwischen Kapitalerträgen und Kapitalgewinnen. Kapitalerträge entstehen, wenn eine Anlage regelmässig Geld abwirft – zum Beispiel Zinsen auf einem Konto. Kapitalgewinne dagegen sind der Profit aus dem Verkauf von Anlagen, zum Beispiel Aktien. Diese sind komplett steuerfrei (zumindest für Privatpersonen). Diese Unterscheidung beschäftigt nicht nur Heerscharen von Jurist*innen, sondern kostet den Schweizer Staat viel Geld. 73 Milliarden steuerfreie Gewinne erhielten Privathaushalte im Jahr 2017. Zum Vergleich: Die gesamten Ausgaben des Bundes im gleichen Jahr beliefen sich auf 68 Milliarden.
Und auch bei den Kapitalerträgen wird die Steuerpflicht oft umgangen. Zum Beispiel mit dem Kapitaleinlageprinzip, das mit der USR2 eingeführt wurde. Solange ein Unternehmen sogenannte Agio-Reserven hat, kann es Dividenden aus diesen bezahlen – und die Aktionäre bezahlen keinen Rappen Steuern. Auch hier Steuerausfälle in Milliardenhöhe.
Sogar wenn die Firma keine entsprechenden Reserven hat, muss nicht unbedingt das ganze Kapitaleinkommen versteuert werden. Dafür sorgt die Teilbesteuerung: Wer mehr als 10 % der Aktien einer Firma besitzt, erhält einen Rabatt von bis zu 50 %. Das ist ungerecht und willkürlich. Stellen Sie sich vor, Ihr Lohn würde nur halb besteuert. Für vermögende Personen ist genau dies der Fall.
Steuerausfälle durch diese Privilegien kosten Bund, Kantone und Gemeinden viel Geld. Aber nicht nur das, sie sind auch ungerecht. Nur sehr wenige Personen profitieren davon. Vermögen sind in der Schweiz äusserst ungleich verteilt, und für die Kapitaleinkommen gilt dies in noch stärkerem Mass: Je reicher jemand ist, desto eher wird das Geld in Aktien und ähnlichen Geldanlagen investiert, statt auf dem Konto zu liegen. In erster Linie profitieren darum die Allerreichsten von Steuerprivilegien. Wer arbeitet, muss dagegen jeden Franken Lohn versteuern.
Dabei sollte es doch genau umgekehrt sein: Wer Geld fürs Reichsein erhält, darf auch anständig Steuern bezahlen – durchaus auch mehr als jemand, der für das gleiche Geld arbeiten muss. Wer jeden Tag für einen mageren Lohn arbeiten muss, soll entlastet werden.
Und die vom «Tages-Anzeiger» vor einigen Tagen publizierte und kommentierte Studie aus Luzern, die zeigt, dass Reiche viel mehr Steuern zahlen als weniger gut Verdienende, stellt schlicht die falsche Frage. Sie fragt nämlich: wie viel zahlt wer ein – statt wie viel bleibt wem Ende Monat. Und es ist nun mal eine Tatsache, dass die Reichen in diesem Land immer reicher werden – und die Armen immer zahlreicher.
Erst vor kurzem landete die Juso Basel-Stadt einen riesigen Erfolg: Die Topverdienersteuer-Initiative wurde von der Stimmbevölkerung angenommen. Das zeigt: Die Bevölkerung will mehr Steuergerechtigkeit. Doch ein kantonaler Abstimmungserfolg reicht nicht aus: Schweizweit braucht es Steuergesetze für Büezer*innen statt für Bonzen. Die 99%-Initiative bietet die Chance dazu.