Erschienen in der SonntagsZeitung vom 29.09.2019
Vor drei Monaten hat die grösste Demonstration in der Geschichte der Schweiz stattgefunden. Über 500’000 Frauen und solidarische Männer waren auf der Strasse, unzählige mehr haben an den Aktionen in Betrieben, Schulen, Spitälern oder Kitas teilgenommen.
Das Ziel: eine feministische Wende. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, ein Ende der Epidemie von Gewalt gegen Frauen, Anerkennung von unbezahlter Arbeit. Der Tag war überwältigend, historisch, gewaltig. Doch was ist geblieben?
Politisch gesehen herzlich wenig. Denn obwohl viele Parteien jetzt ihre feministische Ader bekunden, sieht die Realität anders aus. Viele Anliegen, die in den letzten Monaten auf dem Tisch lagen und in erster Linie die Frauen interessieren, sind auf der Strecke geblieben. So werden wir wohl bald die Ehe für alle haben, doch Frauenpaaren wird der Zugang zur Samenspende (die für heterosexuelle Paare erlaubt ist) weiterhin verwehrt. Gleichberechtigung geht anders.
Ähnlich sieht es auch bei der Revision des Sexualstrafrechts aus, die eigentlich auf dem Tisch liegt. Heute müssen sich Frauen in der Schweiz körperlich zur Wehr setzen während einer Vergewaltigung. Sagen sie «nur» Nein, werden sie vor Gericht verlieren – obwohl sie vergewaltigt wurden. Das muss man sich mal durch den Kopf gehen lassen! Doch eine Änderung dieser Gesetzgebung scheint in weite Ferne gerückt zu sein. Hinzu kommt übrigens, dass Männer nach geltendem Gesetz nicht Opfer einer Vergewaltigung werden können. Es gäbe also genug zu tun.
In die gleiche Kerbe schlagen auch die vorgeschlagene Erhöhung des Rentenalters für Frauen (statt das Rentenalter der Männer zu senken, wenn bereits jetzt viele Menschen über 50 keinen Job mehr finden und wir immer produktiver werden), die Ablehnung des Vaterschaftsurlaubs von vier Wochen und vieles mehr.
Diese Analyse zeigt zwei Dinge: Erstens werden Frauen nicht ernst genommen. Sonst würde man nicht drei Monate nach einem solchen Protest so tun, als hätte es ihn nicht gegeben. Der zweite Punkt ist ein bisschen komplizierter und zieht die Grenzen zwischen bürgerlichem und linkem Feminismus. Denn glaubt man den Prognosen, werden wohl mehr Frauen in den Nationalrat gewählt – leider reicht das nicht. Denn rechte Frauen sind nicht schlechter als rechte Männer – aber eben auch nicht besser, das zeigt ihr Abstimmungsverhalten in den Parlamenten. Und letztendlich ist es der Verkäuferin herzlich egal, ob ihre Rente von einem Mann oder einer Frau gekürzt wurde.
Darum war das Ziel des Frauenstreiks eben nicht, einfach ein paar Frauen mehr in die Politik oder die Wirtschaft zu bringen, sondern die Gesellschaft zu verändern und die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum zu stellen.
Nun ist es an der Zeit, gemeinsam für eine Politik einzustehen, die ein gutes Leben für alle ermöglicht. Dafür braucht es Nägel mit Köpfen und nicht einfach leere Versprechen und ein paar Frauen mehr auf der Wahlliste.
Wir wollen handfeste Resultate sehen. Die Frauenstreik-Komitees sind schon wieder an der Arbeit. Seid gewarnt – es ist noch nicht vorbei!