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Kolumne

Linksrutsch? Welcher Linksrutsch?

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 27.10.2019

Eine Woche ist seit den Wahlen vergangen. Von «erdrutschartigen Veränderung der Parteistärken» war in den darauffolgenden Tagen die Rede. Die Schweiz werde sich stark verändern, Listen wurden aufgestellt, was nun alles möglich ist.

Nun, es tut mir leid, wenn ich die Spielverderberin sein muss und die allgemeine Euphorie bremse, aber die Veränderungen werden sich sehr in Grenzen halten – vor allem angesichts dessen, was eigentlich getan werden müsste. Denn am Sonntag gab es vielleicht eine Korrektur – aber keinen Sieg.

Keinen Sieg, weil es im Parlament die Mehrheit immer noch nicht interessiert, was es bedeutet, Working Poor zu sein, auf Sozialhilfe angewiesen zu sein, auf der Strasse durch Homophobe angegriffen zu werden, nichts zu erben, Angst zu haben, ob die Rente reicht.

Kaum jemand weiss, was es heisst, einen Job mit so miesen Arbeitsbedingungen zu machen, dass eine Erhöhung des Rentenalters unvorstellbar ist. Was es heisst, nicht zum Zahnarzt zu gehen, weil man das Geld dazu nicht hat, das ganze Leben lang zu arbeiten, um am Schluss dankbar sein zu müssen, wenigstens Ergänzungsleistungen zu erhalten.

Nicht ködern lassen

Es ist auch kein Sieg, weil die Kassenfrau in der Migros nicht von der Politik von Magdalena Martullo-Blocher oder Tiana Moser profitieren wird – und schon gar nicht von der Politik von Thomas Aeschi oder Thomas Weibel. Denn diese Kreise wollen die Mindestfranchise bei der Krankenkasse erhöhen, stellen sich gegen einen Mindestlohn und wollen mit den Renten runter und mit dem Rentenalter und den Arbeitszeiten rauf.

Es ist kein Sieg, weil dieses Parlament nicht den Mut haben wird, zu fragen, wer die Macht in diesem Land hat und wieso. Und erst recht nicht den Mut, diese Macht anzugreifen. Dieses Parlament wird sich weiterhin von Konzernen erpressen lassen, nach den Regeln von Multinationalen spielen, Steuerprivilegien bewahren und so Steuersubstrat zerstören, was auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung weltweit geht.

Es ist kein Sieg, weil wir immer noch ein Parlament haben, das nicht die Menschen ins Zentrum seines Handelns stellt, sondern die Profite der Reichen. Es wird sich nicht fragen: Brauchen wir als Gesellschaft Elternzeit, Pflegeurlaub, tiefere Arbeitszeiten? Sondern: Wer bezahlt das? Und gleichzeitig die Steuern für das reichste Prozent nicht erhöhen, obwohl die 300 reichsten Menschen in der Schweiz 2017 60 Milliarden reicher wurden.

Genau darum muss die Linke klar Haltung beziehen und sagen, was Sache ist. Wir dürfen uns nicht von falschen Versprechen und faulen Kompromissen ködern lassen, sondern uns konsequent und mit aller Kraft für ein gutes Leben für alle einsetzen. Und das gemeinsam mit den Bewegungen auf der Strasse. Damit wir in vier Jahren die nötigen 51 Prozent holen, um echte Schritte nach vorne zu machen.

Dann schauen wir weiter.