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Kolumne

Für besseren Sex

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 10.11.2019

Nach unserem geltenden Sexualstrafrecht muss ein Täter sein Opfer nötigen, damit der sexuelle Übergriff rechtlich als Vergewaltigung gilt. Das heisst faktisch im Umkehrschluss: Das Opfer muss sich körperlich wehren. Diese Rechtslage geht vom Mythos des fremden Mannes aus, der nachts im dunklen Park eine Frau überfällt. Das ist aus zwei Gründen völlig realitätsfremd: Erstens kennen gemäss Studien mindestens zwei Drittel der Opfer den Täter bereits vor der Tat. Zweitens verkennt es die psychologischen Mechanismen, die während eines sexuellen Übergriffs häufig spielen: Man fällt in Schockstarre. Man wehrt sich nicht, aus Angst, alles noch schlimmer zu machen. Deshalb steht es im Moment zur Diskussion, das «Nein heisst Nein»-Prinzip im Strafrecht zu verankern: Sagt eine Person vor oder während des Sex Nein oder zeigt auf andere Weise, dass sie nicht mehr möchte, ist es strafbar, wenn man trotzdem weitermacht.

Das ist ein wichtiger Schritt, doch er reicht nicht. Wir brauchen ein «Ja heisst Ja»-Prinzip: Sexuelle Handlungen sind erst dann in Ordnung, wenn alle Involvierten sagen – oder auf andere Weise kundtun –, dass sie in jedem Moment mit dem einverstanden sind, was sie machen. Eigentlich sollte das selbstverständlich sein. Die allerallerwenigsten von uns wollen doch Sex mit einer Person, die das nicht möchte.

Dennoch höre ich immer wieder Bedenken gegen dieses sogenannte Konsensprinzip. Es sei nicht umsetzbar, ohne dass man ständig einen Notar im Bett habe. Dabei ist Konsens kein juristisches Neuland. Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Ihr Nachbar klingelt an Ihrer Tür. Sie öffnen. Vielleicht bitten Sie ihn herein, entweder durch Worte oder vielleicht auch durch nonverbale Signale, indem Sie ihn beispielsweise hereinwinken. Sie geben also Konsens. Wenn Sie das nicht tun und Ihr Nachbar trotzdem in Ihre Wohnung kommt, ist das Hausfriedensbruch, auch wenn er dabei nicht gewalttätig wird. Hier funktioniert unser Recht bereits nach dem Konsensprinzip.

Deshalb glaube ich, dass hinter der Ablehnung der rechtlichen Verankerung des Konsensprinzips eigentlich eine grosse Verunsicherung steckt. Man blickt zurück und fragt sich, ob es nicht Momente gab, in denen man eigentlich nicht so genau wusste, ob die andere Person das, was man da machte, wirklich wollte. Ob das, was man für Sex gehalten hat, vielleicht Gewalt war.

Ich finde diese Verunsicherung gut. Wir brauchen die Diskussion, die daraus entsteht. Sie zwingt uns, zu fragen, wie wir besser kommunizieren können – im Bett und in Beziehungen generell. Denn Konsens ist kein Lichtschalter. Man drückt nicht am Anfang auf einen Knopf, und er ist eingeschaltet. Zustimmung kann zurückgezogen werden, sich nur auf bestimmte Praktiken beschränken, sich während des Sex verändern. Das macht die Sache vielleicht auf den ersten Blick komplizierter, aber es ist auch eine Chance: für neue, bessere Formen des Zusammenseins. Für Sex, der sich nicht an starren Vorstellungen und gängigen Rollenbildern, sondern an den Bedürfnissen der Beteiligten orientiert. Und damit letztlich für besseren Sex – und da kann ja wohl niemand dagegen sein.