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Kolumne

30 Jahre für eine Schweiz ohne Armee

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 24.11.2019

Am 26. November 1989 – also vor ziemlich genau 30 Jahren – ging ein Ruck durch die Schweiz. Über ein Drittel der Menschen in der Schweiz stimmte für die von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) lancierte Initiative zur Abschaffung der Armee. Dieses Resultat, in einer Zeit, in der Armeebudgets kommentarlos und oft ohne Widerstand angenommen wurden, in der es keinen Zivildienst gab und eine Untauglichkeit als Verrat am Vaterland gewertet wurde, kam einem Aufstand gleich.

Und obwohl dieser Aufstand nicht zur Armeeabschaffung führte, wurde die einstmals heilige Kuh ihres Heiligenscheines entledigt. Seitdem ist es undenkbar geworden, ohne Widerstand ein Rüstungsgeschäft durchzukriegen. Oder dass die gesellschaftliche Anerkennung mit einem hohen militärischen Grad verknüpft ist.

Seit diesem Wahlsonntag vor 30 Jahren hat es viele Wahlsonntage gegeben, die im Zeichen des Pazifismus, der Entmilitarisierung und des Friedens standen. Viele dieser Abstimmungen gingen an der Urne verloren – zum Beispiel der zweite Anlauf zur Abschaffung der Armee. Einige Abstimmungen wurden aber gewonnen. So haben wir heute einen Zivildienst als echte Alternative zum Militärdienst, wir sind der UNO beigetreten, wir haben den Gripen abgeschossen, bevor er überhaupt geflogen ist, und der Bestand von Armeeangehörigen wurde seit dem Ende der 80er-Jahre von 700’000 auf heutzutage 140’000 Soldaten und Soldatinnen reduziert.

Doch, davon bin ich fest überzeugt, dieses Heer ist nach wie vor zu gross – und zu teuer. Rund 5 Milliarden Franken kostet uns die Armee jedes Jahr. Und die Schweiz steht heute kurz davor, das grösste Rüstungsprojekt umzusetzen, das dieses Land je gesehen hat. Und das alles für was genau? Um Katastrophenhilfe zu leisten? Die Armee setzt nicht einmal ein Prozent aller Diensttage für die Katastrophenhilfe ein. Um private Anlässe wie das WEF zu bewachen? Nun, um ganz ehrlich zu sein: Dieses Geld könnten wir anderswo besser gebrauchen.

Die Armee ist ein patriarchales, teures und unnötiges Hobby. Verstehen Sie mich nicht falsch – ich finde Hobbys cool, aber wenn wir uns AHV, Prämienverbilligungen und öffentliche Schulen angeblich nicht mehr leisten können, müssen wir wohl auf dieses Hobby verzichten.

Man will uns glauben lassen, dass die Armee Garantin unserer Sicherheit sei. Doch dabei verkennen wir, dass die grösste Gefahr für die Menschen in der Schweiz heute nicht ein Angriff einer ausländischen Macht ist. Nein, die echten Gefahren sind Jobverlust, schlechte Gesundheit, Klimawandel oder Männergewalt. Hier gilt es zu investieren, hier müssen wir als Gesellschaft Massnahmen ergreifen. Denn die nachhaltigste Sicherheit ist immer noch die soziale Sicherheit.

Der SonntagsZeitung-Autor Markus Somm hat die GSoA vor einigen Wochen auf dieser Seite eine «Organisation der Verrückten» genannt. Dem würde ich zustimmen. Die Forderung nach einer Armeeabschaffung war verrückt, wie es wohl auch die Forderungen nach einem Frauenstimmrecht oder der Einführung der AHV einmal waren. Doch verrückte, ja utopische Ideen bringen unsere Gesellschaft vorwärts.