Erschienen in der SonntagsZeitung vom 19.01.2020
Am 24. September 1994 wurde die Antirassismusstrafnorm vom Volk angenommen. Hass und Diskriminierung gegen Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Ethnie und ihrer Religion wurden strafbar. Ein Komitee rund um den SVP-Publizisten Emil Rahm, den antisemitischen Schriftsteller Walter Fischbacher und den Holocaust-Leugner Ernst Indlekofer hatte das Referendum ergriffen – und verloren. Seitdem wurde die Antirassismusstrafnorm immer wieder infrage gestellt. Auch der SVP-Rädelsführer Christoph Blocher griff – notabene während eines Besuches in Ankara in seiner Rolle als Justizminister vor türkischen Medien – die Strafnorm an.
Das Hauptargument dagegen war immer dasselbe, so wie auch bei der anstehenden Erweiterung über die Schutznorm: Die Meinungsäusserungsfreiheit würde eingegrenzt. Nur kurz dazu: In der Verfassung wird nicht nur die Meinungsfreiheit gewährleistet, sondern auch die Menschenwürde. Wer gegen Lesben, Schwule und Bisexuelle hetzt, verletzt damit die Menschenwürde und sät Hass. Und Hass ist keine Meinung.
Warum also gibt es politischen Widerstand gegen ein Gesetz, das Minderheiten schützt und nur zu ein paar Dutzend Verurteilungen pro Jahr führt? (Zum Vergleich: 2018 kam es zu 18’522 Strafanzeigen wegen häuslicher Gewalt.)
Den Initianten des Referendums geht es nicht in erster Linie um das, was sie angeblich nicht mehr sagen können. Hinter der grundsätzlichen Ablehnung steckt die Angst, ihre illegitime Vorherrschaft in unserer Gesellschaft zu verlieren. Sie haben Angst, dass Frauen, Lesben, Bisexuelle, Schwule oder Schwarze beginnen, ihre Rechte auf gerechte Behandlung einzufordern und ihre legitimen Interessen zu vertreten! Sie haben Angst vor Kritik, vor unbequemen Fragen von Minderheiten, vor Gegenwind und vor Machtverlust.
Ihr Widerstand gegen die Antirassismusstrafnorm geht einher mit dem politischen Programm, Gruppen von Menschen in einer Gesellschaft zu isolieren, ihnen demokratische Rechte zu verwehren und sie mundtot zu machen. Es geht einher mit der Annahme, dass nicht alle Menschen gleich sind, dass nicht alle den Anspruch auf die gleichen Rechte haben.
Deshalb behaupten sie das Ende der Meinungsfreiheit und vergessen: Eine Gesellschaft, die Minderheiten vor Hass schützt, stärkt die Meinungsfreiheit. Was paradox klingt, ist eigentlich logisch: Minderheiten in der Schweiz, gerade Lesben und Schwule, konnten sich lang nicht frei bewegen. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden Lehrerinnen oder Bähnler entlassen, wenn sie sich geoutet hatten. Die Stadtpolizei Zürich erfasste Schwule bis 1978 in einem Register.
Die wichtigste Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist, dass wir uns auf Augenhöhe begegnen können. Gleiche Rechte, gleiche Pflichten, gleiche Möglichkeiten, gleiche Chancen, gleiche Freiheiten. Damit das möglich wird, müssen wir dafür sorgen, dass jene Gruppen, die heute diskriminiert werden und deshalb nicht gleichgestellt sind, geschützt sind. Denn fehlender Schutz hindert sie daran, sich frei zu bewegen und zu äussern, frei und selbstbestimmt zu sein. Die Angst vor Hass und Hetze beschränkt heute die Freiheit von Lesben, Schwulen und Bisexuellen.