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Kolumne

Brot für alle!

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 02.02.2020

«Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen»: Diese Worte legt man seit rund 200 Jahren der später geköpften Königin von Frankreich, Marie-Antoinette, in den Mund. Obschon sie es nicht so gesagt hat, so ist der Satz doch Sinnbild für das Unverständnis der adeligen Elite gegenüber den Sorgen der Bevölkerung geworden.

Mit einer ähnlichen Ignoranz gegenüber der Realität vieler Menschen argumentieren auch die Gegner der Initiative für mehr bezahlbaren Wohnraum. Denn sie sagen, ohne mit der Wimper zu zucken: «Man muss halt dort leben, wo man es sich leisten kann.» Sprich: Wir haben kein Problem mit überrissenen Mieten.

Mal davon abgesehen, wie arrogant, hochnäsig und fern von jeder Realität eine solche Aussage ist, verkennen die Gegner der Initiative, dass zu teure Mieten in keiner Weise nur ein Problem von armen Menschen sind – so wie Marie-Antoinette verkannte, dass die Unzufriedenheit keineswegs nur in gewissen Bevölkerungsgruppen grassierte.

Mieten sind nämlich mit Abstand der grösste Ausgabenposten im Haushaltsbudget jeder Familie – auch im Mittelstand. In den letzten Jahrzehnten sind die Mieten zudem regelrecht explodiert. Ganze 19 Prozent mehr Miete zahlen wir im Schnitt gegenüber 2005. Unser Lohn hingegen ist kaum gestiegen.

Zu hohe Mieten sind ein gesellschaftliches Problem, sie sind ein volkswirtschaftliches Problem. Und sie sind illegal. Sie sind illegal, weil in unserer Verfassung und in unseren Gesetzen genau geregelt ist, wie viel Rendite Immobilienbesitzer abschöpfen dürfen: nämlich ca. 2 Prozent. Sie sind illegal, weil in unserer Verfassung steht, dass jeder für sich und seine Familie eine Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden muss.

Die Überlegung bei der Einführung dieser Artikel in die Bundesverfassung war: Eine Wohnung mieten ist Zwangskonsum, alle müssen irgendwo wohnen. Genau gleich, wie alle Wasser trinken müssen oder Luft brauchen zum Leben. Es ist ein Grundbedürfnis, und das wird in unserem Gesetz bis zu einem gewissen Punkt anerkannt.

Die Realität heute aber ist, dass die abgeschöpften Renditen laut einer Studie der Raiffeisen bei ca. 40 Prozent liegen. Das entspricht 14 Milliarden Franken, die Mieterinnen und Mieter jedes Jahr seit 1985 illegal zahlen müssen. Das ist ein Skandal mit volkswirtschaftlicher Dimension.

Diese 14 Milliarden fehlen den Menschen dann zum Leben, zum Konsumieren – oder um sich ein Eigenheim zu kaufen. Diese 14 Milliarden werden von den Immobilienspekulanten eingesackt, ohne einen Finger zu krümmen. Sie haben schlicht die Not der Menschen ausgenutzt und die Mieten erhöht, wo es ging. Sie haben die Grundbedürfnisse der Menschen ausgenutzt, um abzusahnen.

Wir können die Augen nicht mehr vor diesem Skandal verschliessen – es braucht eine politische Durchsetzung der Bundesverfassung, und zwar jetzt.

Denn Wohnen ist kein Kuchen. Wohnen ist Brot. Es wäre gut für den Hausfrieden, allen Brot zu geben – denken Sie an Marie-Antoinette.