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Kolumne

Applaus ist gut. Bezahlung ist besser

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 29.03.2020

Vergangene Woche standen überall in der Schweiz Menschen an ihren Fenstern und auf ihren Balkonen und haben applaudiert. Sie wollten ihre Dankbarkeit für all jene ausdrücken, die während dieser Krise das Land am Laufen halten: Menschen, die im Detailhandel, im Gesundheitswesen, in Apotheken oder in der Kinderbetreuung arbeiten. Das war schön. Es reicht jedoch nicht.

Rund 86 Prozent der Pflegefachpersonen, 92 Prozent aller Kinderbetreuer*innen, zwei Drittel der 300’000 Detailhandelsangestellten und ebenso viele Beschäftigte in Apotheken in der Schweiz sind Frauen. Wir merken plötzlich, dass unsere Gesellschaft ohne die klassischen «Frauenberufe» schlichtweg nicht auskommt. Wenn alles andere stillsteht, sind die Heldinnen an der Front die Kassiererinnen, die Pflegefachfrauen, die Kinderbetreuerinnen. Wir merken, dass unsere Gesellschaft ohne sie einfach nicht funktionieren kann. Sie sind überlebenswichtig.

Doch genau diese Menschen, die jetzt wortwörtlich den Laden schmeissen, haben miserable Löhne und Arbeitsbedingungen: Im Detailhandel beträgt der durchschnittliche Mindestlohn 3932 Franken bei 41 Stunden pro Woche und 5 Wochen Ferien. Eine Fachangestellte Gesundheit verdient zwischen 4100 und 4400 Franken bei 42 Arbeitsstunden pro Woche und 5 Wochen Ferien (hinzu kommt, dass der Bundesrat hier noch die Arbeitszeit- und Ruheregelungen aufgehoben hat wegen der Krise, was gelinde gesagt eine Frechheit ist). Eine Kinderbetreuerin verdient ca. 4100 Franken. Ein Investmentbanker hingegen verdient schnell mal über 15’000 Franken pro Monat – Boni nicht eingerechnet. Das ist viel Geld für etwas, das uns in der Krise nichts bringt. Und sonst eigentlich auch nichts, wenn wir ganz ehrlich sein wollen.

Wir Feminist*innen gehen bereits seit Jahrzehnten für Lohngleichheit auf die Strasse. Zuletzt am 14. Juni 2019 mit weit über 500’000 Frauen und solidarischen Männern. Dabei geht es eben nicht nur um die unerklärbaren Lohnunterschiede, sondern auch darum, dass ein Mann und eine Frau mit dem gleichen Erfahrungsschatz und dem gleichen Job unterschiedlich viel verdienen. Es geht vor allem auch um strukturelle Faktoren: Wie wir gesehen haben, sind Frauen in Tieflohnbranchen massiv übervertreten. Das hat zwei Gründe: Erstens wird Mädchen von klein auf beigebracht, dass «sich kümmern» ein elementarer Bestandteil ihres Lebens sein wird und «zu ihrer Natur» gehört. Also werden die Frauen Kinderbetreuerinnen statt Ingenieurinnen, obwohl sie dort viel mehr verdienen würden.

Zweitens werden verschiedene Arbeiten gesellschaftlich unterschiedlich bewertet. Die sogenannte Care-Arbeit – sprich Pflegen, Kinderbetreuen, Putzen, Kochen usw. – wird dabei als viel weniger wertschaffend eingestuft als zum Beispiel Trust-Fund-Manager und daher viel schlechter bezahlt. Das muss sich ändern. Denn wir sehen jetzt noch viel klarer, welche Arbeit wirklich wichtig ist – und welche nicht. Dem müssen wir als Gesellschaft Rechnung tragen.

Es wird eine Welt nach Corona geben. Klatschen reicht dann nicht mehr. Es braucht Geld, Zeit und Respekt für systemrelevante Arbeit.