Erschienen in der SonntagsZeitung vom 12.04.2019
Ich gebe es zu, Konjunkturprogramme sind kein besonders attraktives Thema für eine Kolumne. Trotzdem müssen wir dringend darüber reden. Denn genau jetzt, in diesen Tagen, beginnen die Verhandlungen über die Welt nach Corona. Unbestritten ist, dass es Ideen braucht, um die drohende Wirtschaftskrise abzumildern. Und hier kommen in der Regel Konjunkturprogramme ins Spiel. Konjunkturprogramme sind – vereinfacht gesagt – Massnahmen, die den Wirtschaftskreislauf ankurbeln sollen.
Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: Steuersenkungen und Investitionen. Steuersenkungen sind unsinnig: Sie begünstigen bei den aktuellen politischen Mehrheiten Unternehmen und Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen. Das bringt wegen der hohen Sparquote bei höheren Einkommen wenig: Wenn Sie 15’000 Franken verdienen, legen Sie das Geld vermutlich zur Seite, weil Ihre Alltagsausgaben längst gedeckt sind. Damit entziehen Sie aber das Geld dem Wirtschaftskreislauf. Eine Entlastung der unteren und mittleren Einkommen wäre viel wirkungsvoller: Wenn Sie 4000 Franken im Monat verdienen, geben Sie zusätzliche 200 Franken direkt wieder für einen Haarschnitt und ein Geburtstagsgeschenk für ihre Freundin aus – das Geld fliesst also zurück in die Wirtschaft.
Bleiben also staatliche Investitionen. Ein simples Beispiel: Der Staat entscheidet sich, ein Gebäude klimafreundlich zu sanieren. Dazu vergibt er einen Auftrag an die Firma Meier. Die Firma Meier stellt neu zusätzlich Peter an, um die Arbeitslast zu bewältigen. Peter kauft sich mit seinem Lohn jeden Mittag ein Sandwich in der Bäckerei um die Ecke und geht am Samstagabend gut essen. Dadurch haben die Bäckerei und das Restaurant Einnahmen, und das Spiel geht von vorne los. Solche Investitionsprogramme können durchaus sinnvoll sein.
Soweit die Theorie. Es gibt jedoch ein Problem: Die Konjunkturprogramme, die im Rahmen der Finanzkrise 2008 verabschiedet wurden, haben vor allem Arbeitsplätze in männerdominierten Branchen gerettet. Selbstverständlich soll man Männerarbeitsplätze retten, keine Frage – aber Frauenarbeitsplätze bitte genauso. Dazu kommt, dass die Steuersenkungen logischerweise zu weniger Steuereinnahmen führen. Diese werden dann erfahrungsgemäss mit Abbaupaketen im Service public kompensiert: Spitäler werden privatisiert, oder Pflegepersonal wird weggestrichen. Dadurch tragen Frauen die doppelte Last der Krise. Sie verlieren nicht nur eher ihre Jobs, sondern müssen auch Dienstleistungen ersetzen, die weggekürzt wurden. Wenn sich die Spitex nach einem Abbaupaket nur noch halb so oft um Ihre betagte Mutter kümmert, springen in aller Regel weibliche Verwandte ein. Natürlich unbezahlt.
Zwölf Jahre nach der Finanzkrise müssen wir deshalb sagen: Diese Art von «Konjunkturprogrammen», in Wahrheit Austeritätsprogramme zur Umverteilung von unten nach oben, haben tödliche Auswirkungen. Wenn nun also über ein neues verhandelt wird, ist klar, was zu tun ist: Es braucht umfassende Investitionen in den «Care-Sektor», also ins Gesundheitswesen, in die Kinderbetreuung und die Bildung.