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Rede

Die Frauen haben uns durch diese Krise getragen

Redebeitrag im Nationalrat zur aktuellen Debatte über «Gleichstellung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Jetzt die Lehren aus der Corona-Krise ziehen» am 18.06.2002

Ich komme gleich zum Punkt: Es gäbe keinen gleichstellungspolitischen Handlungsbedarf, ist das Fazit des Bundesrates. Ich staune bei dieser Aussage mehr, als dass ich lachen kann. Handlungsbedarf gab es ja schon vor der Corona-Krise, und die Situation der Frauen wurde in den letzten Monaten nicht besser. Die Antworten des Bundesrates auf die vorliegenden Vorstösse sind mutlos, absolut nicht kritisch und gelinde gesagt gefährlich für die Gleichstellungsbestrebungen in diesem Land. Ich erwarte zum gegebenen Zeitpunkt nichts Geringeres, als ein Papier und eine Strategie des Bundesrates, welche die Leistungen der Frauen und die Auswirkungen der Krise auf sie beleuchtet und gleichstellungspolitische Antworten skizziert.

Die Frauen haben uns durch diese Krise getragen; in der Pflege, an der Kasse der Lebensmittelgeschäfte, in der Reinigung der Spitäler, bei der Betreuung ihrer Kinder zu Hause, beim Fernunterricht ihrer Schülerinnen und bei der Betreuung von betagten Angehörigen. 69 Prozent des Arbeitsvolumens in der Schweiz wird im Sektor der Care-Arbeit geleistet. Frauen leisten zwei Drittel dieser Arbeit, dazu kommen 248 Milliarden Franken in unbezahlter Care-Arbeit pro Jahr. Care-Arbeit, also die Sorge für und die Versorgung von Menschen, ist entscheidend, wenn es darum geht, den Lebensstandard und das Wohlergehen von uns allen zu sichern – in Krisenzeiten ganz besonders. Doch es ist auch der Care-Sektor und damit die darin Beschäftigten, die durch diese Krise besonders betroffen sind; Distanzvorschriften sind schwierig umzusetzen und bedürften grösserer personeller und zeitlicher Ressourcen und Zusatzaufwand. Solcher Zusatzaufwand wurde bisher in unakzeptabler Art und Weise auf das Personal, also meistens auf Frauen, abgeschoben. Wo Frauen hingegen kaum vertreten waren, war dort, wo die politischen Entscheide über den Umgang mit der Krise getroffen wurden. Das Resultat ist bekannt: Kitas wurden vergessen und die Schutzmasken für die Hebammen auch. Doch hey, wer braucht schon Unterstützung bei einer Geburt?

Für Kritik werden wir noch Zeit haben. Wofür wir keine Zeit haben, ist dafür zu sorgen, dass nicht die Frauen die Kosten dieser Krise tragen werden, wie sie Frau Bertschy auch schon aufgezählt hat. Über 80 Frauenorganisationen haben einen Aufruf an den Bundesrat unterzeichnet, an die Frauen und ihre bezahlte und unbezahlte Arbeit bei der Bewältigung dieser Krise mitzudenken. Unter anderem fordern sie erstens die Aufarbeitung der Krise mit Einbezug der geschlechterspezifischen Aspekte, zweitens, dass Frauen mit in die Expertengremien gehören, drittens, ein Gender Budgeting und viertens, ein Investitionsprogramm. Frauen haben mehr verdient, als die Antworten des Bundesrates und ein bisschen Applaus; sie verdienen Geld, Zeit und Respekt für ihre Arbeit, und sie haben es verdient, endlich von der Politik ernst genommen zu werden, weil Frauen auch zählen.