Kategorien
Kolumne

Was wir uns bewusst machen müssen

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 21.06.2020

Manchmal muss man zuhören, statt selber zu reden. Darum übergebe ich meine Kolumne heute an Rahel El-Maawi:

«Für die Weisse, die wissen möchte, wie sie meine Freundin sein kann. Erstens: Vergiss, dass ich schwarz bin. Zweitens: Vergiss nie, dass ich schwarz bin.» Pat Parker, 1978

«Dieses Zitat begleitet mich. Pat Parker spricht an, wie es vielleicht auch Ihnen geht. Sie möchten Menschen nicht aufgrund rassifizierter Merkmale anders behandeln? Pat Parker verlangt etwas fast Unmögliches. Und doch ist es sehr relevant und auch heute, 42 Jahre nach Erscheinen, hochaktuell und ein wichtiger Wegweiser auf der rassismuskritischen Reise.

Der erste Punkt leuchtet schneller ein: Jeder Mensch ist gleich. Wir pflegen einen respektvollen Umgang zu jedem Menschen in unserer Umlaufbahn, ohne diskriminierende Unterscheidungen zu machen – auch nicht bezüglich Race.

Doch weshalb dann dieser zweite Teil: Vergiss nie, dass ich schwarz bin? Pat Parker eröffnet damit ein Paradox. Sie löst vielleicht sogar ein Unwohlsein aus, weil wir so fest gelernt haben, möglichst nicht rassistisch zu sein, und uns beigebracht wurde, dass wir keine Unterschiede sehen sollen. Unangenehm also, dass wir so sozialisiert wurden, dass wir Unterschiede erlernt haben, aber nicht darüber sprechen dürfen. Und jetzt fordert sie uns auf, etwas zu sehen, über was nicht gesprochen wird? Diese Gleichzeitigkeit in diesem Zitat fordert uns heraus. Und das ist gut so. Es erfordert von uns ein Denken in Parallelität, die in diesem Fall immer wirken soll.

Ich verstehe den zweiten Teil als Aufforderung, Rassismus immer mitzudenken. Rassifizierte Menschen sind immer struktureller, institutioneller und individueller rassistischer Gewalt ausgesetzt. Wir leben in einer Gesellschaft, die eine tief verankerte rassistische Kultur ausweist und die hierarchische Unterscheidung von Menschen reproduziert. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Teilhabe und Zugangsmöglichkeiten nicht für alle im gleichen Umfang gegeben sind. Es gibt gesellschaftliche Ausschlüsse aufgrund von Race, von Geschlecht, von Behinderung und anderem mehr. Menschen mit diesen Merkmalen müssen viel mehr leisten, um dasselbe zu erreichen, falls der Zugang nicht von Beginn an ganz verwehrt ist. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es für die einen selbstverständlich ist, mitbestimmen zu können – auch über die Zukunft anderer. Wir leben in einer rassistischen Kultur, die uns heute prägt, oftmals auch unbewusst.

So oder so, die Auswirkungen sind fatal. Sie verunmöglichen einen diskriminierungsfreien Zugang zu Bildung und Arbeit, zu Wohnen und Gesundheitsversorgung, zu Sicherheit im öffentlichen Raum und vielem mehr. Eine schwarze Person in der Schweiz erlebt wöchentlich abwertende Blicke, verachtende Zuschreibungen und gewaltvolle Handlungen von Mitschülern, Arbeitskolleginnen, Vorgesetzten oder Passantinnen. Und deshalb ist der zweite Teil dieses Zitates so essenziell. Als Freundin, Arbeitskollege, Lehrerin, Vater oder Tante schwarzer Menschen muss ich mir bewusst sein, dass das Leben schwarzer Menschen oft bedroht ist.

Rassismus verletzt. Physisch und psychisch. Rassismus kann töten. Wir müssen darüber sprechen. Und wir alle müssen handeln.»


Rahel El-Maawi ist Dozentin für Soziokultur und Beraterin für diversitätsorientierte Organisationsentwicklung. Sie ist Mitbegründerin von Bla*Sh, dem Netzwerk für schwarze Frauen in der Deutschschweiz.