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Kolumne

Ein paar Gedanken über die Sommerferien

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 19.07.2020

Das letzte E-Mail verschickt, die letzte Schicht beendet, die letzte Schulstunde überstanden – die Sommerferien sind da. Und damit setzt auch dieses ganz spezielle Feriengefühl ein. Erleichterung, den oft mühseligen Alltag eine Weile hinter sich lassen zu können. Vorfreude auf ein paar freie Tage – ohne Verpflichtungen, ohne Chef*in, ohne To-do-Liste.

Wir nehmen dieses Gefühl Jahr für Jahr unhinterfragt hin. Dabei wäre es die ideale Gelegenheit, uns ein paar Gedanken zu machen: über uns, unser Verhältnis zur Arbeit und über unser Wirtschaftssystem. Denn was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn so viele von uns so regelmässig dringend Ferien benötigen?

Heute funktioniert es so: Wer nicht von Kapitaleinkommen oder einer Erbschaft leben kann, muss arbeiten – um die Miete zu zahlen, Rechnungen zu begleichen, Lebensmittel zu kaufen. Dabei gibt es ohne Zweifel Leute mit mehr oder weniger Glück. Leute mit guten und solche mit prekären Arbeitsbedingungen, Leute mit abwechslungsreichen und andere mit monotonen Jobs. Doch die allermeisten Menschen sind lediglich ein Rädchen im Getriebe, ohne Mitspracherecht darüber, wie denn das Gesamtgetriebe überhaupt aussehen soll. Und das gleich doppelt: Weder an unserem Arbeitsplatz noch in Bezug auf unser gesamtes Wirtschaftssystem können wir real mitentscheiden.

Soll es Entlassungen geben? Soll es eine Umstrukturierung geben? Soll ein neuer Geschäftszweig oder ein neuer Standort eröffnet werden? Sollen Arbeitsplätze nach Slowenien verlagert werden? Soll eine bestimmte Investition getätigt werden? Die wenigsten Angestellten haben bei diesen Fragen ein Mitsprachrecht, geschweige denn eine Entscheidungsmacht. Dabei sind es doch die Angestellten, die mit ihrer tagtäglichen Arbeit dafür sorgen, dass ein Unternehmen überhaupt ein Unternehmen ist – und die von den Entscheidungen unmittelbar betroffen sind. Ohne Angestellte, die jeden Tag Autos zusammenbauen, wäre eine Autofabrik offensichtlich keine Autofabrik. Doch wenn es darum geht, ob der Produktionsstandort nach Osteuropa verlagert wird, um den Aktionär*innen ein paar Millionen mehr auszuschütten, haben die Angestellten kein Mitspracherecht. Ist das fair?

Unsere demokratischen Rechte fehlen uns nicht nur am Arbeitsplatz: Ob die Arbeit, die wir verrichten, sinnstiftend ist – ob sie für unsere Gesellschaft einen Mehrwert leistet, uns vorwärtsbringt, uns allen ein besseres Leben ermöglicht –, das liegt ausserhalb unserer Kontrolle. Wir müssen uns all den Bedürfnissen eines Wirtschaftssystems beugen, dessen DNA die Profitmaximierung ist. Dabei müsste sich doch eigentlich die Wirtschaft an unseren Bedürfnissen orientieren.

Wir müssten als Gesellschaft die Möglichkeit haben, zu sagen, dass wir mehr Firmen wollen, die an erneuerbaren Energien herumtüfteln, und weniger Firmen, die Wasser in Plastikflaschen verpacken und teuer verkaufen. Wir müssten die Möglichkeit haben, zu sagen, dass wir mehr Pflegepersonal wollen und weniger Jurist*innen, die Grosskonzernen helfen, ihre Steuern zu «optimieren». Und dann, wenn die Wirtschaft im Dienst der Menschen steht und nicht umgekehrt, könnten wir auch endlich unseren Arbeitsalltag so organisieren, dass Ferien nicht mehr der Silberstreifen am Horizont sind.