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Kolumne

Eine halbe Tasse Kaffee

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 02.08.2020

Ich muss gestehen, ich habe mich innerlich lange dagegen gesträubt, diese Kolumne zu schreiben – eigentlich ist es beschämend, muss man im Jahr 2020 noch jemanden von der Notwendigkeit eines Vaterschaftsurlaubes überzeugen. Weil aber ein Grüppchen aus rechten Politiker*innen gedanklich in den 50er-Jahren stecken geblieben ist und das Referendum gegen einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub ergriffen hat, stehen wir jetzt trotzdem hier.

Also los: Die Argumente liegen auf dem Tisch. Väter wollen und sollen nach der Geburt eines Kindes Verantwortung übernehmen. Das entspricht nicht nur einem zeitgemässen Familienbild, sondern ist schlicht notwendig. Frauen haben in den ersten acht Wochen rechtlich gesehen ein Beschäftigungsverbot – sie dürfen nicht (bezahlt) arbeiten. Das hat medizinische, wissenschaftlich fundierte Gründe. Eine Geburt strapaziert den Körper enorm. Dieser braucht danach genügend Zeit, um sich vollständig zu erholen. Dass die Dauer der Spitalaufenthalte nach Geburten dank neoliberaler Abbaumassnahmen im Gesundheitswesen immer mehr verkürzt wird, hilft dabei nicht. Umso wichtiger ist es, dass Väter hier in den ersten Wochen eine entlastende Rolle einnehmen können, gerade dann, wenn noch ältere Geschwister im Spiel sind.

Weil ich die Kommentarspalten schon vor mir sehe: Ja, es gab durchaus Zeiten, in denen Frauen quasi direkt auf dem Feld gebärt und danach subito weitergearbeitet haben. Angesichts der immensen Mütter- und Kindersterblichkeit in diesen Zeiten bin ich aber sehr froh, haben wir uns als Gesellschaft hier weiterentwickelt.

Die Gegner*innen argumentieren deshalb vor allem mit den Kosten – 230 Millionen seien nicht finanzierbar, vor allem nicht während der Corona-Krise. Wer auch nur das kleinste bisschen Flair für Zahlen hat, merkt schnell, dass das nicht stimmt. Für den Vaterschaftsurlaub werden nämlich die Lohnbeiträge an die Erwerbsersatzordnung, kurz EO, (derselbe Topf, der auch den Mutterschaftsurlaub und die Diensttage im Militär finanziert) von 0,45% auf 0,5% angehoben. Weil die Beiträge zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert werden, bedeutet das je einen Anstieg von 0,025%. Bei einem Lohn von 6500 Franken im Monat – was dem Medianlohn in der Schweiz entspricht, d.h. genau die Hälfte der Erwerbstätigen verdient mehr und die andere Hälfte weniger – müssten also Arbeitgeber und Arbeitnehmer je 1.60 Franken pro Monat mehr bezahlen. Diese halbe Tasse Kaffee opfere ich gerne, wenn wir dafür Eltern von Tag 1 an ermöglichen, sich gemeinsam um ihr Kind zu kümmern.

Die Frage ist also nicht, ob wir uns den Vaterschaftsurlaub leisten können. Die Frage ist, ob wir uns den Vaterschaftsurlaub leisten wollen. Und für mich und (gemäss einer repräsentativen Umfrage von Ende Mai) 71 Prozent der Stimmbevölkerung ist die Antwort klar: Wir wollen.