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Kolumne

Achtung, Etikettenschwindel!

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 16.08.2020

Supersonntag – so wird der Urnengang am 27. September gerne bezeichnet, weil gleich fünf nationale Abstimmungen anstehen. Kein Wunder, kommt dabei eine etwas komplexe, aber sehr wichtige Vorlage in der öffentlichen Wahrnehmung noch zu kurz: die Erhöhung der Kinderabzüge.

Die Geschichte hinter dieser Vorlage ist ein paar Zeilen wert. Ursprünglich ging es um Familien, die ihre Kinder drittbetreuen lassen. Diese sollten neu einen grösseren Teil der anfallenden Kosten von den direkten Bundessteuern abziehen können. Kostenpunkt: 10 Millionen Franken. Die Linke brach zwar nicht gerade in Jubelstürme aus (Steuerabzüge nützen selten jenen, die es nötig haben), wir hätten aber damit leben können.

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion boxte die CVP dann aber durch, dass auch der allgemeine Kinderabzug bei den direkten Bundessteuern erhöht wird. Und zack, kostete die Vorlage nicht mehr 10 Millionen, sondern 370 Millionen obendrauf. Die SP ergriff postwendend das Referendum, flankiert von den Grünen und der GLP. Denn was verlockend tönt und als Familienförderung verkauft wird, ist reiner Steuer-Bschiss auf dem Rücken des Mittelstandes. Von der Vorlage profitieren fast ausschliesslich Topverdiener-Familien, die nur 6 Prozent aller Haushalte ausmachen. Familien mit tiefen und mittleren Einkommen werden hingegen übergangen. Nicht zuletzt, weil fast die Hälfte zu wenig verdient, um überhaupt direkte Bundessteuern zu bezahlen.

Kommt hinzu, dass die Mehrheit der Familien gleich doppelt verliert: Die 370 Millionen, die hier den reichsten Familien im Land zugeschanzt werden sollen, fehlen dann natürlich für Prämienverbilligungen, Kitas und Gleichstellungspolitik, die diesen Namen verdient. SVP-Bundesrat Ueli Maurer, mit dem ich nun wirklich selten einer Meinung bin, hat es in der Parlamentsdebatte zur Vorlage auf den Punkt gebracht: «Ich komme zum Schluss, dass Sie hier weder den Mittelstand noch Familien, sondern die hohen Einkommen entlasten.» Sein vernichtendes Fazit: «Gut gemeint ist das Gegenteil von gut.»

Wenn gar Ueli Maurer und ich uns einig sind, könnte man meinen, das Referendum sei so gut wie gewonnen. Es gibt jedoch einen Haken: Die Vorlage heisst immer noch «Steuerliche Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten», obwohl ebendiese Kinderdrittbetreuungskosten nur 1/38 der Kosten ausmachen. Wir haben es also mit einem waschechten Etikettenschwindel zu tun, den ich demokratiepolitisch für mindestens fragwürdig halte. Ich hoffe deshalb, dass die Vorlage in den kommenden Wochen noch die Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient und die Stimmbürger*innen am Schluss ein gut informiertes, deutliches NEIN einwerfen. Denn nicht immer ist drin, was draufsteht.