Kategorien
Rede

Care-Arbeit anerkennen und versichern

Redebeitrag im Nationalrat zur Legislaturplanung 2019–2023 am 14.09.2020

Gute Planung ist die halbe Miete, das wissen wir. Doch die Frage ist, wohin uns diese Planung führen soll. Für die SP ist klar: Wir müssen die richtigen Akzente setzen, damit die Menschen in diesem Land in vier Jahren in einer besseren, sozialeren und gerechteren Schweiz leben. Dabei sollen feministische, soziale und nachhaltige Anliegen die zentrale Rolle spielen. In diesem Sinne bitte ich Sie, den Antrag der Minderheit II (Nussbaumer) in den politischen Leitlinien aufzunehmen, die nichts anderes will, als das festzuhalten.

Im 2. Abschnitt bitten wir Sie, den Antrag der Minderheit Widmer Céline anzunehmen, die in weiser Voraussicht eine Planung der Investitionen über die nächsten vier Jahre hinaus fordert, was angesichts der heutigen Situation nichts als sinnvoll ist. Im Sinn einer nachhaltigen und solidarischen Bewältigung der Corona-Krise bitten wir Sie, die Minderheiten Strupler, Nicolet, Markwalder und Geissbühler bei den Artikeln 2 und 3 allesamt abzulehnen. Die SP lehnt die Abwälzung der Krise auf alle Angestellten grundsätzlich ab und sieht nicht ein, wieso nur das Bundespersonal die Kosten dieser Krise tragen soll. Was aber hilft, um die Krise zu überwinden und vor allem einer neuen vorzubeugen, ist die Stärkung der öffentlichen Dienste, wie sie in der Minderheit Wettstein bei Ziffer 12 der Massnahmen vorgeschlagen wird und die wir Ihnen zur Annahme empfehlen.

Wie eingangs von Kollege Nussbaumer gesagt, sind wir der Meinung, dass die Nachhaltigkeit in der Legislaturplanung zu kurz kommt. Es braucht konkretes und klares Engagement. Dafür gilt es, in Artikel 4 der Minderheit Badertscher, die die Förderung einer Kreislaufwirtschaft will, sowie der Minderheit Wettstein betreffend Massnahme 12quater und in Artikel 6 der Minderheit Python zu folgen.

Der Bundesrat hält in den Leitlinien fest, dass die Digitalisierung eine der wichtigsten Herausforderungen der nächsten vier Jahre sei. Diese Ansicht teilt die SP. Doch die strukturellen Änderungen und Schwierigkeiten, die damit einhergehen, müssen abgefedert werden. Um dies zu tun, braucht es Um- und Weiterbildungsmöglichkeiten, wie in den Minderheiten Hurni, Python und Wettstein in Artikel 6 vorgeschlagen.

Um den Menschen in der Schweiz alle Türen offenzuhalten, bitten wir Sie zudem, dem Antrag der Mehrheit in Bezug auf die Botschaft zur Finanzierung von Erasmus plus zuzustimmen und den Antrag der Minderheit Pfister Gerhard abzulehnen.

Nun zum letzten und meines Erachtens wichtigsten Punkt. Die Kommissionssprecherin, Frau Kollegin Widmer hat es eingangs gesagt: Der Kommission war es ein Anliegen, den weit über 500 000 Frauen und solidarischen Männern, die letztes Jahr auf die Strasse gegangen sind, Gehör zu verschaffen. Es ist ein Affront gegenüber den Frauen in diesem Land, wie wenig zur Gleichstellung in diesem Legislaturprogramm geschrieben wird. Die Kommission hat das zum Glück punktuell aufgefangen und an unterschiedlichen Orten in der Legislaturplanung auch festgehalten, am ausgeprägtesten wohl beim klar geäusserten Willen, die Gewalt gegen Frauen zu vermindern, mit der Annahme eines Antrages zu Artikel 9, Ziel 8.

Doch damit ist es nicht getan. Es braucht mehr. Der Bereich der Care-Arbeit, dessen Wichtigkeit wir gerade in der Corona-Krise gesehen haben, wird in der Legislaturplanung nicht aufgenommen; dies, obschon gerade Frauen einen Monsteranteil daran leisten. Der Sektor der bezahlten Care-Arbeit gehört zu den am schlechtesten bezahlten Branchen in der Schweiz, obwohl er, wie wir gesehen haben, für das Funktionieren unseres Systems absolut notwendig ist. Hinzu kommen noch die 248 Milliarden Franken, die dem Wert der unbezahlten Arbeit, die die Frauen pro Jahr in der Schweiz leisten, entsprechen. Um es kurz und knapp zu sagen: Ohne die unbezahlte Arbeit der Frauen in diesem Land würde diese Gesellschaft innert Tagen zugrunde gehen.

Diese Gesellschaft und jedes Wirtschaftssystem, das es bis anhin gegeben hat, leben von der Ausbeutung der unbezahlten Arbeit der Frauen und der Natur. Darum kann unsere Zukunft nur feministisch sein. Für die SP-Fraktion ist klar, dass es nicht reicht, diese Arbeit einfach unter den Geschlechtern aufzuteilen, sondern dass sie als das anerkannt werden muss, was sie ist: die Voraussetzung für das Funktionieren dieser Gesellschaft. Als solche sollte sie in einem ersten Schritt als Arbeit anerkannt werden. Diese Arbeit sollte erfasst werden und sich zumindest in den Sozialversicherungen widerspiegeln, wie ich es mit meiner Minderheit in Artikel 7a beantrage. Ich bitte Sie, dieser Minderheit zu folgen und diesem Skandal endlich ein Ende zu setzen.

Zu guter Letzt bitte ich Sie, Ihrer Kommissionsmehrheit zu folgen und an der Einführung der Individualbesteuerung festzuhalten. Denn auch dies ist ein wichtiger Schritt für die Gleichstellung.


Ich melde mich wegen der Minderheit Funiciello zu Artikel 10.

Das bestehende System der sozialen Sicherheit mit den verschiedenen Lohnausfallversicherungen wie der Arbeitslosenversicherung, der Invalidenversicherung, der Unfallversicherung usw. weist an den Schnittstellen und Übergängen Probleme auf, die die Betroffenen ausbaden müssen. So hat die IV zum Beispiel einen Anreiz, Menschen in die Sozialhilfe abzuschieben, damit sie die Kosten für diese Menschen nicht mehr tragen muss. Gleichzeitig wird die Sozialhilfe laufend gekürzt. Die SKOS-Richtlinien werden in einigen Kantonen schon lange unterschritten; dies vor allem, weil das Ziel der Sozialversicherung heute ist, möglichst nicht mehr Kosten zu generieren.

Aber in einer Gesellschaft, die sich so schnell weiterentwickelt wie die unsere, die keine Vollbeschäftigung bieten kann und kaum Möglichkeiten, Schritt zu halten, ist dies illusorisch. Das Resultat ist die Ausgrenzung der Betroffenen. Das ist einer reichen Gesellschaft wie der Schweiz unwürdig und hilft niemandem, sondern führt lediglich zur Stigmatisierung von Betroffenen, einer Stigmatisierung, die wir seit Malthus eigentlich überwunden haben, weil wir wissen, dass Arbeitslosigkeit nichts mit schlechten Charaktereigenschaften zu tun hat, sondern mit dem System, mit dem wir leben.

Die Idee einer allgemeinen Erwerbsausfallversicherung geht davon aus, dass all jene versichert werden sollen, die vorübergehend oder dauerhaft von der Erwerbsarbeit ausgeschlossen sind. Dabei soll die Ursache der Erwerbslosigkeit im Unterschied zum bestehenden System keine Rolle spielen, sondern nur die Tatsache der Erwerbslosigkeit. Dies führt zu weniger Stigmatisierung, besseren Chancen und besserer Gesundheit der Betroffenen. Die allgemeine Erwerbsausfallversicherung soll es allen Menschen, die nicht erwerbstätig sein können, ermöglichen, ein Auskommen in Würde zu haben – unabhängig vom Grund der Erwerbslosigkeit. Die Idee verdient es, das hat ja auch Frau Humbel gesagt, näher geprüft und mit dem bestehenden System verglichen zu werden.

Vor Jahrhundertprojekten hat die SP keine Angst. Von dem her bitte ich Sie, der Minderheit Funiciello zu folgen.