Kategorien
Rede

Selbstbestimmung für inter- und trans-Menschen

Redebeitrag im Nationalrat zur Änderung des Geschlechts im Personenstandsregister am 24.09.2020

Der Zweck der Vorlage ist es, eine explizite gesetzliche Grundlage zu schaffen, damit trans- und intergeschlechtliche Menschen ihren Geschlechtseintrag einfach mittels Erklärung vor dem Zivilstandsamt anpassen können. Damit würde das Verfahren kostengünstiger – 75 statt 1000 Franken –, schweizweit einheitlicher und schneller werden, und vor allem würde es auf Selbstbestimmung basieren. Es handelt sich nicht um die Einführung von neuen Rechten, sondern um eine Vereinfachung des Lebens von inter- und transgeschlechtlichen Menschen. Eine Vereinfachung, die dringend nötig ist, vor allem, wenn wir uns vor Augen führen, dass die Suizidrate bei Transjugendlichen vierzigmal höher ist als jene von cis Jugendlichen. Wir haben eine Verantwortung, hier etwas zu unternehmen, damit sich das ändert, und das können wir mit diesem Gesetz tun. Denn dieses Gesetz ist ein wichtiger Schritt, um das Verfahren der Transition zu vereinfachen. Wir ermöglichen damit Menschen etwas, das für uns seit Geburt selbstverständlich ist; dass ihre Geschlechtsangaben stimmen.

Ich bitte Sie daher im Namen der SP-Fraktion, auf das Geschäft einzutreten und die Minderheit Nidegger abzulehnen. Zudem bitte ich Sie inständig, den Minderheitsantrag Bregy zu Artikel 30b Absatz 4 abzulehnen; dies, weil was gut tönt, für die betroffenen Menschen nicht unbedingt gut ist.

Ich verstehe den Impuls, zu sagen, es kann doch nicht sein, dass Jugendliche ihr Geschlecht anpassen können, ohne dass die Eltern zustimmen, absolut. Würde ich nicht zahlreiche Transmenschen kennen, hätte ich womöglich den gleichen Impuls. Doch unser Ziel ist es – da sind wir uns, glaube ich, wirklich alle einig – das Leben dieser Menschen zu vereinfachen, und wir vereinfachen es nicht, wenn wir neue Hürden schaffen. Hürden, die es heute übrigens nicht gibt. Urteilsfähige Minderjährige können heute die Anpassung ihres Geschlechtseintrags und ihres Namens ohne Zustimmung der Eltern fordern – genauso, wie sie heute ohne Zustimmung der Eltern eine hormonelle Behandlung beginnen und, wenn gewünscht, Operationen vornehmen lassen können.

Das ist das Persönlichkeitsrecht, wie es das ZGB regelt und wie es sich bewährt hat. Selbst die Verwaltung konnte uns kein konkret aufgetauchtes Problem damit nennen. Es ist richtig, dass Jugendliche das selbst entscheiden können. Wieso das richtig ist? Weil es anders einfach nicht praxistauglich ist. Um das zu verstehen, müssen wir vom konkreten Fall ausgehen. Man muss verstehen, dass ein Mensch, der sich entschieden hat, sein Geschlecht in seinem amtlichen Ausweis anzupassen, dies nicht am Anfang einer Transition tut, sondern am Schluss dieses Prozesses. Diese Menschen, diese Jugendlichen, die nennen sich bereits anders, sie kleiden sich anders, sie verhalten sich anders. Sie heissen nicht mehr Paul, sondern sie nennen sich, seit sie sechs, neun oder vierzehn sind, Anna, und sie kleiden sich auch, wie sich eine Anna kleidet, und nicht, wie ein Paul sich kleidet, und sie werden auch von anderen Anna genannt. Aber jedes Mal, wenn sie das Abi zeigen müssen im Bus, werden sie geoutet, weil der Kontrolleur im Bus zu Recht sagt, das ist nicht dein Abi, denn auf diesem Ausweis steht «Paul», und es hat ein grosses M drauf, und ein Paul sieht einfach nicht wie eine Anna aus. Das ist belastend, weil Anna dem Kontrolleur im Bus dann erklären muss, dass sie trans- oder intergeschlechtlich ist und dass sie Hormone nimmt. Dann kann Anna nur hoffen, dass der Kontrolleur das glaubt. Stellen Sie sich vor, Sie müssten mit einem Kontrolleur im Bus über ihr Geschlechtsteil reden! Das ist doch einfach absurd! Es ist aber Realität für Trans- und intergeschlechtliche Menschen in der Schweiz.

Wenn die Eltern Anna unterstützen, dann ist es egal, ob in diesem Gesetz steht, dass Anna die elterliche Einwilligung braucht. Wenn die Eltern Anna aber nicht unterstützen, dann macht das eben einen Unterschied. Ich bitte Sie sehr, die Konflikte in der Familie nicht zusätzlich zuzuspitzen, denn darunter leiden vor allem die Jugendlichen. Ich bitte Sie auch, den Expertinnen und Experten zu folgen, die uns inständig bitten, das abzulehnen.