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Kolumne

Vom Wie und vom Was

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 27.09.2020

Anfang Woche haben Klimaaktivist*innen ohne Bewilligung den Bundesplatz besetzt. In der Diskussion darüber läuft einiges schief. Zeit für eine kleine Analyse. Beginnen wir mit dem Einmaleins des zivilen Ungehorsams. Ziviler Ungehorsam ist ein politisches Mittel. Mit einem friedlichen, symbolischen Verstoss gegen eine geltende Bestimmung will man auf ein drängendes gesellschaftliches Problem aufmerksam machen, das sonst kein Gehör findet.

Soziale Bewegungen wie die Bürgerrechtsbewegung oder die Frauenbewegung haben elementare Errungenschaften erkämpft. Meine Stimme wäre am heutigen Abstimmungssonntag nichts wert, wenn die Feministin und spätere SP-Politikerin Emilie Lieberherr 1969 nicht zusammen mit Tausenden Frauen den Marsch nach Bern organisiert und auf dem Bundesplatz ein gewaltiges Pfeifkonzert veranstaltet hätte. Das sorgte damals bei vielen Menschen für rote Köpfe. Das Anliegen sei ja berechtigt, hiess es, aber die Form nicht zielführend. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Genau die gleiche Debatte läuft nun über das Klimacamp. Zahlreiche Medienschaffende und bürgerliche Politiker*innen sind Meister*innen darin, über das Wie statt über das Was zu reden. Man gibt sich wahlweise erstaunt oder empört, wenn soziale Bewegungen zu mehr oder weniger drastischen Mitteln greifen. Sofort betont man eilig, dass man für das Anliegen natürlich Sympathie hätte, wenn es nur in einer anderen Form transportiert würde. Dabei blendet man gekonnt aus, dass das Anliegen Jahre oder gar Jahrzehnte in unterschiedlichsten Formen an die Politik herangetragen wurde – aber von genau jenen, die jetzt nur über die Form reden, nicht ernst genommen wurde.

Anstatt sich also darüber aufzuregen, dass ein paar Jugendliche ohne Bewilligung friedlich auf dem Bundesplatz campiert haben, um das Gespräch mit der Politik und der Öffentlichkeit zu suchen, könnte man die Zeit auch nutzen, um darüber zu reden, wie wir die bevorstehende Klimakatastrophe abwenden. Denn das Klimacamp war nicht undemokratisch. Im Gegenteil: Sie haben auf dem Bundesplatz campiert, weil sie daran glauben, dass unsere demokratisch gewählten Politiker*innen diejenigen sind und sein müssen, die unser Klima und damit unsere Zukunft retten. Enttäuschen wir sie nicht.

In all dieser Aufregung um das Klimacamp ging ein anderes Ereignis medial völlig unter. Vergangenen Montag demonstrierten – ebenfalls in Bern – einige Hundert Asylbewerber*innen für ein würdiges Leben und eine Perspektive. Die Demonstration war nicht bewilligt, aber friedlich. Die Polizei löste die Demo gewaltsam auf, Wasserwerfer wurden aus kürzester Distanz eingesetzt, ebenso Gummischrot und Pfefferspray. Eine Stadt, zwei Anliegen, zwei friedliche, aber unbewilligte Protestformen, zwei völlig unterschiedliche Vorgehensweisen. Faire Verhandlungen mit den überwiegend weissen Klimaaktivist*innen einerseits, krasse Gewaltanwendung innert kürzester Zeit bei Asylbewerber*innen.

Viel bildhafter hätte man nicht zeigen können, dass die Diskussion über das Wie nur ein Vorwand ist.