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Kolumne

Evakuieren, um zu isolieren?

Viel zu oft, wird über Menschen mit Fluchterfahrungen gesprochen. Sie selbst aber kommen nie zu Wort. Um das für einmal zu ändern habe ich meine Kolumne diese Woche Amar Salim, Aktivist der Gruppe  #StopIsolation übergeben. #passthemic

Evakuieren Jetzt! Die Forderung der Demonstration in Bern ist richtig und wichtig. Zu viele von uns (geflüchteten) Migrantinnen und Migranten mussten am eigenen Leibe erfahren, wie entwürdigend und entrechtend das Camp Moria auf Lesbos ist. Dieser Ort bietet keine Sicherheit. Wir übertreiben nicht. Europa schafft aktuell an seinen Aussengrenzen das Recht auf Asyl ab. 

Es macht Hoffnung, da nun Menschen, NGOs, Kirchen und sogar Städte die Kälte des Bundesrats kritisieren und die Aufnahme von Geflüchteten fordern. Wer sich aber über Moria empört, soll zur Isolation in den Asylcamps der Schweiz nicht schweigen. Wer Moria entkommt, landet hier leider in offenen Gefängnissen. 

Die Freiheitsbeschränkungen in den Bundesasylzentren gehen soweit, dass sie sogar von der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter überwacht werden müssen. Sind dies für potentiell traumatisierte Folteropfer gute Bedingungen? Auch wer in einen Kanton transferiert wird, erlebt Isolation. Im Kanton Bern z.B. dürfen Geflüchtete mit einer vorläufigen Aufnahme erst in eine Wohnung ziehen, wenn sie eine 60%-Stelle und zertifizierte Deutschkenntnisse vorweisen können. Schaffen sie es nicht, bleiben sie im Asylcamp stecken. Ist das eine ernsthafte Perspektive um hier Fuss zu fassen? Isolation macht etwas mit uns. Wir sind geflohen, um zu leben, aber hier werden viele von uns müde. Diesen Sommer hat sich ein Freund an einer Demonstration selbst angezündet. Es war ein Hilfeschrei. Andere gehen im Stillen. Selbsttötungen gehören zum traurigen Alltag in Asylcamps. Warum interessiert dies nicht? 

Am untersten Ende dieses Asylsystems regt sich nun aber organisierter Widerstand. Immer mehr von uns wollen das Leben mit den acht Franken pro Tag, die Isolation und die Angst abgeschoben zu werden, nicht mehr hinnehmen. Mit unseren Forderungen haben wir uns an das Staatssekretariat für Migration gewandt. Dieses hat uns zu den kantonalen Behörden geschickt. Diese haben uns ans Parlament verwiesen. Dort heisst es, das Volk entscheidet über unsere Lebensperspektiven. Aber wir können nicht mehr warten. 

Wir leben jetzt. Statt diskriminierende Nothilfe brauchen wir Gleichstellung. Warum werden wir anders behandelt als Europäerinnen und Europäer? Sie erhalten Aufenthaltsbewilligungen, sobald sie einen Job finden. Warum werden wir wegen „illegalen Aufenthalt“ wiederholt gebüsst oder in Haft genommen während Schweizerinnen und Schweizer für ein Delikt nur einmal bestraft werden dürfen? Warum haben Härtefallgesuche für ein Bleiberecht in der Praxis erst nach zehn Jahren eine Chance, obwohl gesetzlich fünf Jahre Aufenthalt verlangt wären? 

Unsere Bewegung #StopIsolation ist nicht „undemokratisch und unsolidarisch“, wie uns das der Berner Regierungsrat Philippe Müller vorwirft. Wenn Unrecht zu Recht wird, müssen wir uns organisieren und protestieren. Es gibt immer Handlungsspielräume. Wir wollen alles unternehmen, dass sie für uns, statt gegen uns genutzt werden.