Als ich vor einem Jahr gemeinsam mit den vielen anderen neu gewählten Frauen Nationalrätin wurde, war dies der Schlusspunkt einer historischen feministischen Mobilisierung. Doch wenn ich mich heute frage, wie sich die Politik seither bewegt hat, ist das Fazit ernüchternd. Gleichstellungspolitisch haben wir kaum Fortschritte gemacht.
In der Wintersession wurde mir schmerzhaft bewusst: politische Entscheide orientieren sich noch immer an den Wünschen von wenigen Privilegierten – mehrheitlich weissen cis-hetero-Männern – die ihrerseits im Parlament überrepräsentiert sind.
Doch wo die Politik stagniert, bewegt sich die Gesellschaft! Trotz Pandemie und Unsicherheit mobilisieren wir uns weiter: In den letzten Monaten kämpften wir während 16 Tagen gegen Gewalt an Frauen. Wir demonstrierten gegen rassistische Grenzregimes und forderten die Evakuierung der Lager an den europäischen Aussengrenzen. Wir versammelten uns für würdige Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen.
Je weniger die Politik uns zuhört, desto lauter werden wir. Wir sind feministisch, queer und anti-rassistisch. Unsere Lebensrealitäten sind keine Details. Ob sie es wollen oder nicht: Wir sind die Schweiz.
Meine Schwerpunkte
Statt mit wirksamen Massnahmen gegen die Corona-Krise zu kämpfen, konstruierten die Bürgerlichen diese Session einen Gegensatz zwischen Gesundheit und Wirtschaft. Nach monatelangen Bemühungen versenkten sie den Teilmieterlass für Corona-betroffene Unternehmen. Dank dem unnachlässigen Engagement der SP wird allerdings die Überbrückungsrente für ältere Arbeitnehmende schon früher als geplant in Kraft treten. Angestellte mit befristeten Verträgen können neu ebenfalls eine Kurzarbeitsentschädigung einfordern und tiefe Löhne sollen bis März zu 100 Prozent entschädigt werden. Zusätzlich hat der Bundesrat auf konstanten Druck hin weitere wirtschaftliche Massnahmen angekündigt.
Mit dem deutlichen Ja zur «Ehe für alle» haben wir in der Schlussabstimmung von Freitag ein Stück Geschichte geschrieben. Den Erfolg verdanken wir dem jahrzehntelangen Aktivismus der queeren Community. Feiern können wir noch nicht. Aufgrund einer homofeindlichen Bestimmung des Ständerates wird in Frauenpaaren die nicht gebärende Person nur dann rechtlich als Mutter anerkannt, wenn die Samenspende über eine Schweizer Samenbank erfolgt. Dies führt zu enormer Unsicherheit für die vielen Familien, die mit Samenspenden aus dem Ausland oder privaten Samenspenden gegründet werden. Hier geht es zu meinem Votum.
Eine weitere Lebensrealität, die der Ständerat komplett missachtet hat, ist jene von trans Jugendlichen. Beim wichtigen Entscheid für die vereinfachte Änderung des Geschlechts im Personenstandsregister hat er eine Altersgrenze von 16 Jahren durchgesetzt, unter der Jugendliche nur mit Zustimmung der Eltern ihren Geschlechtseintrag ändern können. Für trans Jugendliche, die von ihren Eltern nicht unterstützt werden, bedeutet diese willkürliche Altersgrenze noch mehr Transfeindlichkeit, Diskriminierung und Gewalt. Lese hier mehr.
Ein Erfolg war für mich hingegen die Einreichung der Motion für eine professionelle 24h-Beratung für Betroffene von Gewalt. Das Angebot soll schweizweit sowohl online wie auch per Telefon verfügbar sein. Besonders freue ich mich über die überparteiliche Unterstützung und den zeitgleichen Vorstoss im Ständerat.
Das ist ausserdem passiert
- Keine Boni bei Covid-Hilfe: Trotz enormer staatlicher Unterstützung hat die Swiss dieses Jahr Boni an ihre Geschäftsleitung ausgezahlt. Grosse Teile der Gesellschaft kämpfen derweil ums Überleben. Das darf nicht sein! Mit einer Motion fordere ich, dass staatliche Hilfsgelder nicht in die Taschen von Top-Manager*innen fliessen.
- Kampagne gegen Sexismus abgelehnt: Nach #MeToo, feministischem Streik und den vielen Berichten zur Verbreitung geschlechtsspezifischer Gewalt hat sich der Ständerat tatsächlich gegen eine breite Präventionskampagne über Sexismus ausgesprochen. Total unverständlich!
- Nationale Meldestelle für Misshandlungen im Sport: Am 31. Oktober enthüllten die Magglingen-Protokolle die systematische psychische Gewalt, die Schweizer Spitzenturnerinnen jahrelang erleben mussten. Nun haben Nationalrat und Ständerat die Motion zur Schaffung einer unabhängigen Meldestelle angenommen. Ein wichtiger Schritt!
Das kannst du tun
Das geplante Terror-Gesetz opfert den Rechtsstaat und den Schutz der Menschenrechte für die Terrorbekämpfung. Statt Sicherheit sorgt die Gesetzesvorlage für Willkür und Unsicherheit. Unterschreibe jetzt das Referendum!
Rette das FemInfo! Das feministische Magazin mit wissenschaftlichem Blick steht kurz vor dem Ruin. Hilf mit, das unabhängige Magazin vor dem Budget-Tod zu bewahren. Unterstütze hier das Crowdfunding von FemWiss.
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