Erschienen in der SonntagsZeitung vom 28.02.2021.
Die Zahl der Sonntagsverkäufe soll erhöht werden. Das ist ungesund und bringt den Läden wenig.
Meine Mutter ist seit einigen Jahren pensioniert. Vorher arbeitete sie jahrzehntelang an der Kasse eines grossen Schweizer Detailhändlers. Der Job als Kassiererin ist hart. Die Löhne sind tief, die Wochenarbeitszeit beträgt gerne mal 45 Stunden, und gesellschaftliche Anerkennung gibt es sowieso nicht. Auch die Arbeitszeiten zehren an den Angestellten. Je nach Kanton haben die Läden abends bis 21 Uhr geöffnet, auch am Samstag. Von den Mitarbeitenden wird maximale Flexibilität erwartet.
Für uns als Familie war deshalb der Sonntag extrem wichtig. Egal wie hektisch die Woche war, wir Kinder wussten, dass unsere Mutter am Sonntag frei hatte und dass wir gemeinsam Zeit verbringen konnten. Das ist nicht nur meine persönliche Erfahrung. Eine französische Studie hat vor kurzem untersucht, wie sich Sonntagsarbeit auf das soziale Leben der Angestellten auswirkt. Das Fazit war eindeutig: Sonntagsarbeit reduziert den Kontakt zur Familie, zu Freunden und zu Bekannten.
Ein freier Tag unter der Woche reicht nicht
Ein freier Tag unter der Woche gleicht das nicht aus, es bleibt ein Manko. Das ist ja auch logisch: Wenn ich am Dienstag freihabe, kann ich persönlich mich zwar schon erholen. Wenn aber meine Kinder dann in der Schule und meine Freundinnen und Freunde bei der Arbeit sind, fehlen mir meine sozialen Kontakte.
Man muss nicht Psychologie studiert haben, um zu sehen, dass das nicht gesund sein kann. Man muss auch nicht Wirtschaft studiert haben, um zu sehen, dass Sonntagsarbeit auch den Läden wenig bringt: Die Konsument*innen haben ja nicht plötzlich mehr Geld in der Tasche, nur weil die Läden einen Tag mehr geöffnet haben. Es wurde deshalb schon mehrfach belegt, dass Sonntagsverkäufe nur zu einer Verlagerung des Umsatzes führen, nicht aber zu einer Steigerung. Das können sich nur die grossen Player leisten. Kleine Boutiquen und Quartierlädeli haben das Nachsehen.
Sonntagsarbeit reduziert den Kontakt zur Familie, zu Freunden und zu Bekannten.
Und trotzdem blasen im Moment die bürgerlichen Parteien zum Grossangriff auf die Detailhandelsangestellten. Im Kanton Bern wird nächsten Sonntag über eine Erhöhung der Anzahl Sonntagsverkäufe von zwei auf vier pro Jahr abgestimmt. Und die Wirtschaftskommission des Ständerats hat gerade angekündigt, dass er die Sonntagsverkäufe von vier auf zwölf pro Jahr ausdehnen will. Und das, nachdem wir im vergangenen Frühling alle noch klatschend auf unseren Balkonen standen und darüber diskutierten, dass systemrelevante Berufe wie der Detailhandel endlich bessere Arbeitsbedingungen und bessere Löhne brauchen. Das ist ein Hohn.
Und noch eine Bemerkung am Rande: Klar, ich war auch selbst schon froh, dass der Coop am Bahnhof Bern am Sonntag geöffnet hat. Das gilt noch mehr für Leute, die selbst Jobs in der Grundversorgung haben. Es gibt jedoch einen grossen Unterschied, ob man am Sonntag an gewissen neuralgischen Punkten Noteinkäufe machen kann oder oder ob man Sonntagsverkäufe flächendeckend normalisieren will. In diesem Sinne hoffe ich nächsten Sonntag auf ein wuchtiges Nein im Kanton Bern und ein wuchtiges Nein im Parlament zum Vorstoss der Wirtschaftskommission.
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