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Kolumne

Wie ein Autounfall

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 11. April 2021.

Obwohl es vermeidbar war, ist es so gekommen: Das Gewerbe muss auch in der Krise die Geschäftsmieten zahlen, die grossen Immobilienkonzerne kassieren.

Ich habe zum Glück noch nie einen Autounfall beobachtet. Aber man erzählt sich, dass sich alles wie in Zeitlupe abspielt. Dass man nicht wegschauen kann, weil man weiss, dass gleich eine Katastrophe passieren wird, man aber nichts dagegen tun kann. Etwa so habe ich mich gefühlt, als das Parlament vor einigen Monaten das Geschäftsmietengesetz versenkt hat. Das Gesetz wäre ein entscheidender Schritt gewesen, um das Gewerbe während dieser Jahrhundertkrise zu unterstützen. Die Immobilienkonzerne wären gesetzlich verpflichtet worden, ihren Mieter*innen entgegenzukommen. Für kleine Vermieter*innen, die selbst unter der Krise leiden, hätte man einen Härtefallfonds geschaffen.

Doch die grossen Immobilienkonzerne lobbyierten, als gäbe es kein Morgen. Ihr Argument: Vermieter*innen und Mieter*innen würden partnerschaftliche Lösungen finden. Der Verband Immobilien Schweiz schrieb: «Wenn der Markt gute Lösungen bietet, ist eine staatliche Regulierung nicht zielführend und daher abzulehnen.»

Dabei war uns von Anfang an klar: Nichts als leere Worte. Die grossen Immobilienkonzerne werden stur bleiben und keinen Rappen nachgeben. Warum sollten sie auch? Sie wussten, dass sie sich problemlos in den gepolsterten Sesseln ihrer schicken Büros zurücklehnen und darauf warten konnten, dass das Gewerbe die Mieten mit den Corona-Härtefallgeldern schon irgendwie bezahlen wird.

Während unzählige seit einem Jahr um ihr finanzielles Überleben kämpfen, subventionieren wir mit 3,5 Milliarden Steuergeldern eine Branche, die nun wirklich nicht am Hungertuch nagt.

Und genau das ist nun passiert. Armin Zucker, Vizepräsident des Verbands der Geschäftsmieter, liess verlauten: «Das Parlament hat sich von der Immobilienlobby täuschen lassen. Die hat eine gütliche Einigung versprochen und bricht jetzt ihr Wort.» Mieter*innen müssen also trotz geschlossener Geschäfte den vollen Mietzins zahlen und greifen dafür auf die Corona-Härtefallgelder zurück.

Während unzählige Menschen in diesem Land seit einem Jahr um ihr finanzielles Überleben kämpfen, subventionieren wir mit schätzungsweise 3,5 Milliarden Franken Steuergeldern eine Branche, die nun wirklich nicht am Hungertuch nagt. Im Gegenteil. Swiss Life führt beispielsweise ein grosses Immobilienportfolio, das im letzten Jahr sehr rentabel war, und schüttet nun ihren Aktionär*innen höhere Dividenden aus.

Das zeigt einmal mehr, wohin das Geld in diesem Land fliesst: Von den Menschen zu den Grosskonzernen. Damit muss endlich Schluss sein. In einem ersten Schritt sollen die Immobilienkonzerne öffentlich dafür geradestehen, warum wir mit unseren Steuern ihre Rendite finanzieren sollen. Und danach braucht es ein paar ganz grundsätzliche Überlegungen dazu, wie wir diese gewaltige Umverteilung von unten nach oben stoppen können.

Schliessen möchte ich heute aber mit einer schönen Nachricht aus einem ganz anderen Eck: Am Freitag hat sich die ehemalige Kunstturnerin Ariella Kaeslin geoutet. Ich weiss aus persönlicher Erfahrung, dass das viel Mut braucht – Gratulation zu diesem grossen Schritt und willkommen in der Familie!

Oder – um ein Motto der LGBT*-Jugendorganisation Milchjugend zu zitieren: Wir haben es uns nicht ausgesucht. Wir hatten einfach Glück.

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