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Kolumne

Angst ist keine gute Ratgeberin

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 23. Mai 2021.

Klar, niemand findet Terror gut. Aber Grundrechte und somit letztlich Freiheit einzuschränken, wie es das Anti-Terror-Gesetz vorsieht, darf nie die Antwort darauf sein.

Am 13. Juni stimmen wir unter anderem ab über das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, kurz PMT.

Das PMT ist die Folge von 20 Jahren «Krieg gegen den Terror», den die USA nach den Angriffen auf das Word Trade Center am 11. September 2001 ausgerufen hatten. Seither wird weltweit ein repressives Gesetz nach dem anderen verabschiedet, im Versuch, der Angst vor dem Terror entgegenzuwirken.

Doch Angst war schon immer eine schlechte Ratgeberin. Denn wenn wir effizient gegen Radikalisierung vorgehen möchten, müssten wir anders agieren. Während die Wissenschaft uns seit Jahren sagt, dass die wirksamsten Waffen gegen Radikalisierung Integration, Chancengleichheit und Perspektiven sind, scheint man sich im Westen im Versuch übertrumpfen zu wollen, wer das repressivste Gesetz verabschieden kann.

Mit dem PMT-Gesetz wird die Schweiz unangefochten den ersten Platz erreichen. Die einzige Institution in westlichen Ländern, die dem PMT noch Konkurrenz machen könnte, ist das US-Lager Guantánamo, wo Menschen jahrelang ohne Prozess eingesperrt werden, weil sie verdächtigt werden, Terroristen zu sein.

Verhandlung rechtsstaatlicher Prinzipien

Nein, ich übertreibe nicht. Mit dem PMT erhält die Polizei weitreichende Möglichkeiten, präventiv gegen Menschen vorzugehen, die sie für gefährlich hält – von Fussfesseln, Wegweisungen und Rayonverboten für Kinder ab zwölf Jahren bis zu Hausarrest für Personen ab 15 Jahren. Und das erst noch aufgrund einer sehr schwammigen Definition dessen, was Terrorismus ist.

Oder anders ausgedrückt: Das neue Anti-Terror-Gesetz erlaubt es, Menschen einzusperren, die keine Straftat begangen haben. Damit wird der Rechtsstaat untergraben in elementaren Bereichen wie der Garantie der Unschuldsvermutung und dem Grundsatz, das nur bestraft wird, wer etwas Strafwürdiges nach unserem Strafgesetzbuch getan hat, oder der Gewaltentrennung, da einzig der Hausarrest einer richterlichen Überprüfung unterliegen wird.

Das geht zu weit. Ja, niemand findet Terror gut. Grundrechte und somit letztlich Freiheit einzuschränken, kann nie die Antwort auf Terror sein. Willkür der Staatsgewalt kann und darf nicht die Antwort darauf sein.

Kein Schutz vor staatlicher Willkür

Diese Willkür zeigt sich übrigens auch in den problematischen und schwammigen Definitionen im Gesetzestext selbst. So gilt es als eine «terroristische Aktivität», «Furcht und Schrecken» zu verbreiten. Was soll das heissen? Wenn Klimaaktivist*innen vor der drohenden Gefahr der Klimakrise warnen und die Gesellschaft so in «Furcht und Schrecken» versetzen, weil es ja schliesslich auch fürchterlich und schrecklich ist, was passieren kann – sind es dann auch Terroristen? Corona-Skeptiker*innen? Feministische Streikende? Mich versetzen die Anhänger des «Marsch fürs Läbe» auch in Furcht und Schrecken.

Der UNO-Experte für Folter, Nils Melzer, kommentierte das PMT dementsprechend auch so: «Was die Schweiz dann noch von einem repressiven Polizeistaat trennt, ist unser Vertrauen in den gesunden Menschenverstand der Behörden.»

Nun, Vertrauen in unsere Behörden ist gut – aber Kontrolle ist besser. Das ist Teil des Wesens eines demokratischen Staates. Check and Balances.

Werfen wir diese Grundsätze nicht in Hysterie über Bord.

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