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Kolumne

Wirklich nur Ja heisst Ja

Kolumne erschienen in der SonntagsZeitung vom 15. August 2021.

Das skandalöse Urteil in einem Basler Vergewaltigungsfall zeigt klar: Wir müssen dringend das Sexualstrafrecht revidieren.

Am 30. Juli hat das Appellationsgericht Basel mit einem Urteil zum stark verkürzten Strafmass in einem Vergewaltigungsfall für berechtigte Kritik und Protest gesorgt. Die mündliche Begründung des Urteils – ein Hohn gegenüber allen Opfern sexualisierter Gewalt. Die Gerichtspräsidentin machte das Opfer mitverantwortlich für die Tat: Die Person habe «mit dem Feuer gespielt» und «Signale auf Männer ausgesendet», da sie sich früher am Abend mit einem anderen Mann eingelassen hatte.

Dieses Urteil trieft nur so von schädlichen Vergewaltigungsmythen: Als wären Männer triebgesteuerte Dummies, die sich nicht mehr im Griff haben, sobald sie mehr nackte Haut sehen als die Knöchel einer Frau. Als wären Frauen hinterlistige Wesen, die Männer bloss provozierten, um ihnen danach zu verwehren, was ihnen doch eigentlich «zusteht». Es scheint überflüssig, zu erwähnen, dass all dem nicht so ist. Aber dieses Urteil sagt eben etwas anderes.

Gefährliche Definition von Vergewaltigung

Diese Form von Victim-Blaming (Opferbeschuldigung) liegt nicht nur diesem Urteil, sondern auch unserem Sexualstrafrecht zugrunde. Die aktuelle Vergewaltigungsdefinition setzt voraus, dass der*die Übergriffige das Opfer zur Tat zwingt. Im Umkehrschluss wird vom Opfer Widerstand erwartet, denn zwingen muss man nur, wer sich wehrt. Die Aufgabe, den Übergriff zu verhindern, hat nach dieser Definition das Opfer – nicht die*der Übergriffige. Wenn die Vergewaltigung als erwiesen gilt, das Opfer aber «falsche Signale aussendet», wie sich Stunden vor der Tat mit einem anderen Mann einzulassen, ist das strafmildernd für die Täterschaft.

Diese Umkehr von Verantwortung bei sexualisierter Gewalt ist der Kern des Problems. Genau darum braucht es eine zeitgemässe Revision des Sexualstrafrechts – ein grundlegender Umbau der Pfeiler, auf denen unser Sexualstrafrecht steht. Sexuelle Handlungen sind nur dann in Ordnung, wenn alle Beteiligten zugestimmt haben: Nur Ja heisst Ja.

Scheinlösung höheres Strafmass

Anstatt dieses Problem anzuerkennen, lassen einige Exponent*innen der SVP nun verlauten, dass mit einer Erhöhung des Strafmasses ein solches Urteil nicht möglich wäre. Ich bin nicht kategorisch gegen höhere Strafen, aber man muss mir mal glaubhaft erklären können, was sie nützen. Was die SVP mit dieser Forderung momentan macht, ist Nebelpetarden zünden. Das ist ein bisschen, wie wenn wir die brüchigen Pfeiler, auf denen das Sexualstrafrecht steht, mit pinker Acrylfarbe anmalen würden: Man sieht es zwar von weitem, aber es nützt nichts und hält nicht lange. Ausserdem sagt die Wissenschaft seit Jahren, dass die Erhöhung des Strafmasses keine präventive Wirkung hat. Sonst könnte man jedes Verbrechen mit der Todesstrafe bestrafen – und man hätte in dieser Logik keine Vergehen mehr. Die USA zeigen, wie unsinnig diese Annahme ist.

Viel relevanter für potenzielle Täter*innen ist die Angst, erwischt zu werden. Das setzt allerdings eine Kultur voraus, in der wir den Opfern glauben und diese sich trauen, die Täter*innen anzuzeigen. Heute liegt die Prozentzahl angezeigter Vergewaltigungen bei 8%. Das heisst, dass 92% der Fälle nicht gemeldet werden. Einer der Hauptgründe dafür: Opfer haben Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird – dass man ihnen eine Mitschuld an der Tat gibt.

Zeit für Veränderung

Das müssen wir ändern! Wir müssen das Sexualstrafrecht, nach dem Grundsatz «Nur Ja heisst Ja», revidieren, Schulungen für Richter*innen, Polizist*innen und Anwält*innen obligatorisch machen, den Opferberatungsstellen genügend Geld zur Verfügung stellen und den Aufklärungsunterricht in der Schule überarbeiten.

Die SVP bereitet sich derweil diskursiv darauf vor, alle diese Massnahmen abzulehnen und weiterhin brüchige Pfeiler mit Acrylfarbe anzumalen. Das ist vielleicht billiger, aber nutzlos.

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