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Kolumne

Die heilige Dreifaltigkeit

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 29.08.2021.

Die Bürgerlichen kämpfen immer mit den gleichen Argumenten – diesmal gegen die 99-Prozent-Initiative.

In weniger als einem Monat kommt die 99-Prozent-Initiative zur Abstimmung. Das Ziel der Vorlage: Kapitaleinkommen, z.B. Aktiengewinne, Zinsen und Dividenden, ab 100’000 Franken sollen stärker besteuert werden als Lohn und Rente. Heute ist es umgekehrt. Aktiengewinne werden gar nicht besteuert und Dividenden 30 Prozent weniger stark als Löhne. Kein Wunder, werden die Reichen immer reicher. Kein Wunder, sind die reichsten sechs Schweizer auch im Corona-Jahr um 15 Milliarden (!) CHF schwerer geworden.

Wenn Sie jetzt denken, die Vorlage könnten Sie auch betreffen: Denken Sie daran, wie viel Zinsen Sie Ende Jahr auf dem Bankkonto haben. Und nun überlegen Sie sich, wie viel Geld Sie haben müssen, um 100’000 Franken Zinsen zu erhalten. Genau – Sie sind nicht betroffen.

Auf eine Initiative folgt auch immer eine Gegenkampagne – und wie jedes Mal, wenn die Linke für mehr soziale Gerechtigkeit kämpft, kommen die Rechten mit ihrer heiligen Dreifaltigkeit der Gegenargumente: Neid, KMU und Betroffenheit des Mittelstandes.

Die Schein-Argumente der Gegenkampagne

Wie bereits eingangs bewiesen, trifft Letzteres nicht ein. Die Initiative, die mit vollem Namen «99-Prozent-Initiative – Kapital gerecht besteuern, Löhne entlasten» heisst, will sogar das Gegenteil. Doch prüfen wir noch die zwei anderen Gegenargumente, die mit immensen Ressourcen gerade in der ganzen Schweiz tapeziert werden.

Fangen wir mit dem Neid-Argument an. Eine Initiative für mehr soziale Gerechtigkeit hat nichts mit Neid zu tun, sondern mit Demokratie. Heute geht Macht mit Reichtum einher, daher ist auch eine Konzentration davon in den Händen weniger brandgefährlich. Denn wer genügend Geld hat, kauft sich Medienhäuser, Lobbyisten – und ganze Kampagnen. Soziale Ungleichheit untergräbt die Demokratie, weil nicht jede Stimme gleich viel Einfluss hat. Das mag im Mittelalter akzeptiert worden sein – doch wir haben eine Demokratie und keinen Feudalismus. Politik muss für alle Menschen gemacht werden und nicht für das reichste 1 Prozent. In einer Demokratie, die alle Menschen gleichbehandelt, dürfen Erpressungen wie «Dann ziehen die Reichen weg» nicht gelten.

Das zweite Gegenargument: Die 99-Prozent-Initiative schade den KMU. Hier frage ich mich ehrlich, ob die Gegner*innen den Initiativtext gelesen und verstanden haben. Die 99-Prozent-Initiative nimmt private Personen in die Pflicht, keine Unternehmen. Es geht um den irren Fakt, dass Menschen, die Lohn erhalten, heute stärker besteuert werden als solche, die Kapitalgewinne erhalten. Dies mit der Begründung, es sei innovationsfördernd.

Für mehr Demokratie, Gerechtigkeit und die 99%!

Zehn Jahre nach der Annahme der Unternehmenssteuerreform, die dazu geführt hat, dass wir Dividenden weniger stark besteuern mit ebendiesem Ziel der Investitionsförderung können wir getrost sagen, dass das nicht stimmt. Die Investitionen sind in dieser Zeit gleich hoch geblieben. Gestiegen hingegen ist die Ausschüttung von Dividenden, weil es sich doppelt lohnt: Nicht nur sind sie weniger besteuert als Lohn – sie sind auch nicht sozialversicherungspflichtig. Dieser Effekt ist massiv mitverantwortlich für das Loch in unserer heutigen AHV. Die 99-Prozent-Initiative will diese toxische Entwicklung rückgängig machen.

Dass nun die Leute, die die letzten Jahre von dieser Steuerpolitik profitiert haben, dagegen sind, ist nicht sonderlich erstaunlich. Erstaunlich wäre es aber, wenn die 99 Prozent schon wieder gegen ihre eigenen Interessen stimmen.

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