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Kolumne

Für das Selbst-verständliche

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 12. September 2021. Co-Autorin dieser Kolumne ist Anna Rosenwasser, LGBT-Expertin und feministische Autorin.

Ehe für alle: Die Realität von Frauen, die Frauen lieben, muss endlich anerkannt und geschützt werden.

Wir haben sie alle gesehen, die Plakate, die in der ganzen Schweiz hängen. «Sklavinnen» steht drauf. Abgebildet sind Bäuche von schwangeren Menschen. Genauer gesagt von People of Color. Dazu steht: Ehe für alle – Nein. Obwohl die Leihmutterschaft nicht Inhalt der Vorlage ist.

Wenn man keine Argumente hat, dann schmeisst man mit Vorurteilen, diffusen Ängsten und Whataboutism um sich. Und man greift auf strukturelle Gewalt zurück. Nicht nur richtet sich das Plakat gegen die LGBT-Community. Es wird auch impliziert, dass nicht weisse Menschen keinen Schweizer Pass haben: Ein schwangerer Bauch of Color, der ist nur geliehen.

Solche Diskurse prägen die Gesellschaft. Sie sind dafür da, um das Unsagbare salonfähig zu halten. Unter dem Deckmantel des «das darf man ja wohl noch sagen können» werden uralte Diskriminierungsformen legitimiert, unterdrückte Minderheiten angegriffen. Damit werden Menschen ausgegrenzt. Opfer-Täter-Umkehr gemacht.

Nein zu homofeindlicher Stimmungsmache

Wenn wir bei den Fakten bleiben, muss festgehalten werden, dass Leihmutterschaften heute in der Schweiz verboten sind. Wenn sie dann im Ausland in Anspruch genommen werden, dann in grosser Zahl von Hetero-Paaren. Genau wie die Samenspende vor allem von Hetero-Paaren in Anspruch genommen wird. Dass Familien auch bei Mann-Frau-Paaren auf vielfältige Art entstehen, ist ein jahrzehntealtes Tabu.

Es erstaunt nicht, dass der Absender der Kampagne unter anderem ein SVP-Exponent ist, der bei sich zu Hause Nazi-Flaggen rumhängen hat und sich bis anhin gegen jede Massnahme gestellt hat, die in irgendeiner Weise Frauen im In- oder im Ausland schützt. Oder gegen den Vaterschaftsurlaub, was an Inkohärenz kaum zu übertreffen ist.

Wie ironisch: Die Gegner der Ehe für alle argumentieren gern, dass Regenbogenkinder traumatisiert würden. Dabei sind sie es, die sie traumatisieren.

Was aber erstaunt, ist, wie wenig dies thematisiert wird. Wir, zwei offen frauenliebende Frauen, haben entschieden, diesen Text gemeinsam zu schreiben, weil wir das thematisieren wollen. Weil wir nicht bereit sind, uns zu verstecken. Weil wir uns wehren werden – auch für die, die es nicht können.

Ja zu Schutz und Anerkennung

Uns frauenliebenden Frauen wird gerade gesagt: «Ja, vielleicht sind eure Familien bald rechtlich abgesichert. Aber seid euch bewusst, wir werden es euch nicht einfach machen. Wir werden urteilen, wir werden jeden Tag eures Lebens dafür sorgen, dass ihr euch daran erinnert, dass wir euch nicht wollen.» Nicht nur jedes einzelne Nein-Prozent, sondern auch jede Sekunde, in der wir offen homofeindlichen Exponenten einen Platz in diesem Diskurs einräumen, erinnert uns daran. Wie ironisch: Die Gegner der Ehe für alle argumentieren gern, dass Regenbogenkinder traumatisiert würden. Dabei sind sie es, die sie traumatisieren.

Wir frauenliebenden Frauen werden das nicht auf uns sitzen lassen.

Wir werden nicht schweigen. Unsere Realität soll endlich anerkannt und geschützt werden. Wir werden nicht betteln –wir verlangen das, was in einer liberalen, modernen Gesellschaft selbstverständlich sein sollte: gleiche Rechte und Pflichten für alle.

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