Erschienen in der Sonntagszeitung vom 23. November 2021.
Am 28. November geht es auch darum, eine gute Gesundheitsversorgung für alle sicherzustellen.
Ich hatte bisher grosses Glück. Ich war selten darauf angewiesen, in einem Spital behandelt und gepflegt zu werden. Ich weiss aber, dass das mir und meinen Liebsten wohl im Laufe unserer Leben passieren wird – und vermutlich auch Ihnen. Krankheiten und Unfälle können uns alle treffen. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings hoch, dass Sie oder ich irgendwann in einem Krankenbett liegen, den kleinen roten Rufknopf drücken – und nichts passiert.
Denn der Pflegenotstand ist längst Realität. Wer sich im Moment auf den gängigen Jobportalen umsieht, merkt, dass aktuell über 11’700 Pflegestellen unbesetzt sind. Kein anderer Beruf hat mehr offene Stellen. Und das Problem wird sich weiter verschärfen: Mit der steigenden Lebenserwartung steigt auch der Pflegebedarf, gleichzeitig wird strukturell zu wenig qualifiziertes Personal ausgebildet.
Sie und ich hätten also nur schon ein rein egoistisches Interesse daran, am 28. November Ja zur Pflegeinitiative zu stimmen. Doch im Kern geht es um etwas anderes. Es ist eine zentrale Aufgabe einer solidarischen Gesellschaft, eine gute Gesundheitsversorgung für alle sicherzustellen. Dazu gehört auch, dass wir den Menschen, die in der Pflege arbeiten, endlich Sorge tragen. Es reicht schon lange nicht mehr, einfach auf unsere Balkone zu stehen und zu applaudieren.
Bevor wir zur Pflegeinitiative kommen, lohnt es sich jedoch, einen kurzen Blick darauf zu werfen, warum die Arbeitsbedingungen in der Pflege so prekär sind. Zufall ist es nicht: Berufe, in denen grossmehrheitlich Frauen arbeiten, werden gesellschaftlich immer noch weniger wertgeschätzt – und als Folge davon schlechter bezahlt als sogenannte Männerberufe. Gerade im Care-Sektor gehen wir unbewusst häufig davon aus, dass Frauen diese Arbeit «aus Liebe» verrichten und sich gerne aufopfern. Dass es eigentlich um knallharte ökonomische Realitäten geht, ignorieren wir gerne.
Zur Pflegeinitiative: Das Gesundheits- und Pflegepersonal arbeitet am Limit. Mit der Covid-Pandemie hat sich das Problem weiter verschärft. Rund ein Drittel der Pflegefachpersonen zeigt Symptome von Burn-out, Depressionen oder Angsterkrankungen. Der Stress ist so gross, dass über 40 Prozent des Pflegepersonals den Job wechseln und nicht mehr im Pflegebereich tätig sind. Das ist unhaltbar.
Das sieht die Stimmbevölkerung offenbar auch so. Die neusten Umfragen zeigen, dass aktuell fast 80 Prozent der Stimmberechtigten der Initiative zustimmen würden. Ein enormer Wert. Doch damit die Sensation gelingt, braucht es noch viel. Initiativen haben es an der Urne schwer. Gerade mal 23 Initiativen wurden in den letzten 130 Jahren von Volk und Ständen angenommen. Füllen Sie doch deshalb das Stimmcouvert gleich aus, wenn es in den nächsten Wochen bei Ihnen im Briefkasten liegt. Erinnern Sie auch alle anderen Personen in Ihrem Haushalt daran. Und kommen Sie doch nächsten Samstag um 13 Uhr an die Kundgebung der Pflegenden in Bern. Es ist Zeit, sich mit jenen solidarisch zu zeigen, die immer da sind, wenn wir sie brauchen.