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Kolumne

Der Krieg geht weiter

Erschienen in der Sonntagszeitung vom 30. Januar 2022.

Indem man ihnen den Zugang zu Abtreibungen verwehrt, degradiert man Frauen zu Brutkästen ohne Recht auf eigene Meinung oder körperliche Selbstbestimmung.

«Es gibt einen Krieg gegen meinen Körper und einen Krieg gegen meine Rechte.» Das sind die Worte, die die Highschool-Absolventin und Jahresabschlusssprecherin Paxton Smith gewählt hat, um das neue texanische Abtreibungsgesetz anzuprangern. Ein Gesetz, das Abtreibungen nur noch bis zur sechsten Schwangerschaftswoche ermöglicht. Das kommt faktisch einem Abtreibungsverbot gleich. Denn viele Menschen wissen bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, dass sie schwanger sind.

Sobald eine Person (eine Frau oder eine andere Person, die schwanger werden kann, wie nonbinäre Menschen oder trans Männer) ein Kind in sich trägt, gehört dieser Körper nicht mehr ihr. Sondern der Gesellschaft. Ihre Autonomie über ihren Körper wird ihr genommen, ihr Wohl zugunsten des Zellhaufens in ihrem Innern vernachlässigt, sie wird entmündigt und zu einem Brutkasten ohne das Recht auf eigene Meinung oder körperliche Selbstbestimmung degradiert. So will es die rechte, konservative Ideologie.

Es gibt nichts Frauenfeindlicheres, Sexistischeres und Patriarchaleres, als Personen den Zugang zu Abtreibungen und somit zur Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper vorzuenthalten. Und dennoch machen das unzählige Länder. Neben (bisher) Teilen der USA hat auch Polen in den letzten Jahren Abtreibungen nahezu verboten. In Italien weigerten sich vor kurzem Ärzte aus «Gewissensgründen», einen nicht überlebensfähigen Fötus abzutreiben, und haben gewartet, bis er von selbst starb. Die Mutter ist auf dem Weg in den Operationssaal gestorben. Das beweist einmal mehr, dass die rechtliche Situation von Frauen und Minderheiten nicht einfach per se immer besser wird, weil «halt irgendwie» der Zeitgeist progressiver wird. Backlashes sind jederzeit möglich.

Wissen Sie, wo heute das Recht auf Abtreibung geregelt ist im Schweizer Gesetz? Im Strafgesetzbuch. Es folgt gleich auf Mord, Totschlag und fahrlässige Tötung.

Das droht uns im Moment auch in der Schweiz. Die SVP hat im Dezember gleich zwei Initiativen lanciert, um unsere freie Entscheidung über unseren eigenen Körper einzuschränken. Eine der beiden Initiativen heisst «Einmal darüber schlafen»-Initiative. Wer eine Abtreibung möchte, wird gezwungen, nach der ärztlichen Konsultation nochmals «eine Nacht darüber zu schlafen». Bevormundender gehts kaum noch. Die Initiative suggeriert, dass Frauen dumm und sich der Konsequenzen ihrer Handlungen nicht bewusst sind. Jede Person weiss selbst, wie viel Zeit sie braucht, um diese Entscheidung zu treffen. Unsere Verfassung hat in ihrem Uterus nichts zu suchen.

Und dennoch: Wissen Sie, wo heute das Recht auf Abtreibung geregelt ist im Schweizer Gesetz? Im Strafgesetzbuch. Es folgt gleich auf Mord, Totschlag und fahrlässige Tötung. Das nennt man dann Gesetzessystematik. Oder wussten Sie, dass gerade für Personen ohne Schweizer Pass, Frauen mit Fluchterfahrung oder Sans-Papiers der Zugang zu Abtreibungen unglaublich schwer ist?

Der Weg zur Selbstbestimmung ist noch lang. Der Krieg, den Paxton Smith anprangert, findet im Jahr 2022 auch in der Schweiz statt. Es ist an der Zeit, ihn endlich zu beenden. Er hat genügend Opfer gefordert.

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