Erschienen in der Sonntagszeitung vom 13. Februar 2022.
Familienergänzende Kinderbetreuung muss in der Schweiz endlich für alle zugänglich und bezahlbar werden.
Eine der wichtigsten Forderungen des feministischen Streiks am 14. Juni 2019 war Geld, Zeit und Respekt für die Kinderbetreuung. Nun ist es an der Zeit, diese umzusetzen.
Denn Kinder grossziehen ist Arbeit. Das läuft nicht nebenher, dies zeigen schon die Zahlen: Eine Milliarde Stunden arbeiten Frauen jährlich unbezahlt allein für die direkte Kinderbetreuung, wie die feministische Fakultät ausgerechnet hat. Das sind doppelt so viele Stunden, wie auf dem Bau gearbeitet werden, um das in eine Relation zu setzen. Um diese für die Gesellschaft notwendige unbezahlte Arbeit leisten zu können, reduzieren viele Frauen ihre Erwerbspensen, verzichten auf Weiterbildungen und Karriereaufstiege (oder werden daran gehindert).
Frauen verdienen jährlich rund 100 Milliarden Franken weniger als Männer.
Bevor nun jemand denkt «Aber Kinder sind doch Privatsache»: Eine Gesellschaft ohne Kinder hat keine Zukunft. Es gehört zu den grundlegendsten aller Aufgaben, Kinder grosszuziehen. Und diese wichtige Arbeit wird weder bezahlt noch wertgeschätzt, noch ist sie relevant fürs BIP.
Doch für die Frauen, die die Kinder grossziehen, hat diese Arbeit ihren Preis, denn sie haben Einbussen beim Einkommen und bei der Rente. Frauen verdienen jährlich rund 100 Milliarden Franken weniger als Männer, obwohl sie gleich viele Stunden arbeiten. Der Grossteil resultiert aus der ungleichen Verteilung von unbezahlter Arbeit.
Nun gibt es einige Möglichkeiten, um diese Problematik zu lösen. Eine ist die Reduktion der Erwerbsarbeitszeit – durch die relative Erhöhung des Stundenlohnes bleibt mehr Zeit übrig für unbezahlte Arbeit. Doch diese Diskussion steckt im Moment noch in den Kinderschuhen.
Heute ist die Schweiz bei der familienergänzenden Kinderbetreuung das europäische Schlusslicht.
Eine andere Möglichkeit ist, unbezahlte Arbeit als gesellschaftliche Arbeit anzuerkennen und sie anständig zu bezahlen. Dies, indem wir zum Beispiel die familienergänzende Kinderbetreuung stärken. Nicht nur, indem wir mehr Kita-Plätze schaffen, sondern auch, indem wir die schlechten Arbeitsbedingungen von Kinderbetreuer*innen – die nicht zuletzt in der Corona-Krise als Stütze der Gesellschaft aufgefallen sind – verbessern.
Doch heute ist die Schweiz bei der familienergänzenden Kinderbetreuung das europäische Schlusslicht. Sie gibt im Vergleich sehr wenig für die Kinderbetreuung aus. Der Durchschnitt der OECD-Länder für die Altersgruppe 0 bis 3 Jahre liegt bei 0,8% des BIP, die skandinavischen Länder geben bis zu 2% aus, die Schweiz nur 0,1%. Dabei zeigen Studien, dass die Schaffung bezahlbarer Betreuungsplätze Frauen entlastet, ihnen die Rückkehr in die Erwerbsarbeit ermöglicht, zu zusätzlichen Steuereinnahmen führt und die Ausgaben sozialer Leistungen senkt.
Es ist also nicht ersichtlich, wieso familienergänzende Kinderbetreuung in der Schweiz nicht für alle zugänglich und bezahlbar sein sollte.
Kinderbetreuung kostet. Die Frage, die sich heute vor allem stellt, ist, wer diese Kosten bezahlt. Frauen mit unbezahlter Arbeit, schlechten Löhnen und tiefen Renten – oder wir übernehmen diese Aufgabe endlich als Gesellschaft.
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