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Kolumne

Neutralität ist keine Ausrede für Tatenlosigkeit

Erschienen in der Sonntagszeitung vom 26. Februar 2022.

Zurückhaltung ist angesichts eines Angriffs auf die Menschenwürde keine «neutrale» Position. Die Schweiz trägt in den aktuellen Ereignissen eine Verantwortung, und diese muss sie wahrnehmen.

Die Ereignisse im Osten Europas überschlagen sich. Russland führt seit Donnerstag einen imperialistischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Medien berichten von Tausenden verletzten und gefallenen Soldaten; Videos von Explosionen, Raketen- und Panzerangriffen gehen um die Welt. Hunderttausende Personen sind auf der Flucht. Was wir in diesen unfassbaren Tagen miterleben, ist ein Angriff auf Frieden, Menschen- und Völkerrecht. 

Und was macht die offizielle Schweiz? Sie zeigt sich zwar «zutiefst besorgt» und verurteilt den Angriff des Putin-Regimes «aufs Schärfste». Aber sie hält sich zurück beim Ergreifen von Massnahmen, die für den Frieden in Europa jetzt so dringendst nötig wären. Als Begründung für diese Zurückhaltung fällt immer wieder der Begriff der Neutralität – ein Muster, das sich in der Schweiz zu wiederholen scheint. 

Neutralität ist keine Ausrede

Man muss keine Expertin für Diplomatie oder Konfliktlösung sein, um zu wissen, dass Schweigen und Tatenlosigkeit angesichts einer Ungerechtigkeit und eines Angriffs auf die Menschenwürde keine «neutrale» Position sind. Wenn ich mitbekomme, wie eine Person diskriminiert wird, dann greife ich ein. Wenn Faschismus verharmlost wird und Nazis unbehelligt durch die Schweizer Strassen marschieren, dann stelle ich mich ihnen in den Weg. Wer tatenlos bleibt, stellt sich auf die Seite der Unterdrückenden.

Gleichermassen ist Tatenlosigkeit der Schweiz beim aktuellen Angriffskrieg des Putin-Regimes keine «neutrale» Position. Sie ist die Position, die Profitinteressen über Menschenleben stellt. 30 Prozent aller russischen Auslandsguthaben liegen auf Schweizer Bankkonten. Ausserdem erfolgen gemäss dem Wirtschaftsbericht der Schweizer Botschaft in Moskau rund 80 Prozent des russischen Rohstoffhandels über die Schweiz. Das ist ein riesiger Machthebel gegen die russischen Kriegstreiber:innen und muss als solcher gehandhabt werden.

Die Schweiz trägt Verantwortung

Ob wir es wollen oder nicht: Die Schweiz trägt in den aktuellen Ereignissen eine Verantwortung, und diese muss sie wahrnehmen. Sie muss die EU-Sanktionen vollumfänglich mittragen und die Vermögen der russischen Elite einfrieren. Weiter müssen wir dringend humanitäre Hilfe leisten und den Zivilist:innen auf der Flucht Schutz bieten. Dafür braucht es sichere Fluchtwege.

Ohne Massnahmen bleibt die Schweiz wirtschaftlicher und finanzieller Komplize genau jener imperialistischen Mächte, die diesen Angriffskrieg anführen. Bleiben wir tatenlos, stellen wir uns auf die Seite der Kriegsführenden. Wir sind alles andere als neutral, wenn die russische Elite dank der Schweiz Sanktionen umgehen kann. 

Unser oberstes Ziel muss der Frieden und somit ein sofortiger Waffenstillstand sein. Waffen töten, und Krieg zerstört nicht nur Menschenleben, sondern auch unsere Menschlichkeit. Ist Neutralität unser Ziel, müssen wir eine konsequente Friedenspolitik verfolgen – gegen Aufrüstung, gegen Imperialismus und gegen jeden Militarismus, sei es von Russland oder der Nato. 

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