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Kolumne

AHV-Reform: Wer profititert?

Erschienen in der Sonntagszeitung vom 26. März 2022.

Befürworter des Reformpakets AHV21 übersehen etwas Zentrales: Die Solidarität unter den Generationen funktioniert. Was nicht funktioniert, ist die «Solidarität» zwischen den sozialen Schichten.

Letzte Woche hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, im Rahmen einer überparteilichen Veranstaltung einer Vorsorgeexpertin der UBS dabei lauschen zu dürfen, wie sie ihre Sicht auf die AHV-Reform präsentierte.

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, geschätzte Leser:innen, ich dachte, so rasch bringt mich nichts mehr aus der Ruhe – vor allem nach drei Wochen Session. Aber wenn jemand das Wort «Überalterung» in den Mund nimmt, dann treibt mich das auf die Palme. Denn so despektierlich über die Generation zu reden, die den Reichtum, auf dem diese Gesellschaft fusst, aufgebaut hat, widerspricht allen meinen Prinzipien.

Aber man muss ja bekanntlich im Leben darauf vorbereitet sein, überrascht zu werden. Ohne auf die Details der Präsentation eingehen zu wollen, fiel mir einmal mehr auf, wie vehement Banken und Rechte versuchen, Generationen gegeneinander auszuspielen. Die Alten leben auf Kosten der Jungen, weil sie immer älter werden, ist ihr Mantra. Darum müssen die Alten länger arbeiten, damit diese Umverteilung nicht mehr stattfindet.

Eine sehr komische Gleichung, wenn Sie mich fragen. Nicht nur, weil, wenn ältere Kolleg:innen länger arbeiten, sie länger Posten bekleiden und so Junge keinen Platz haben – denn irgendwo müssen die Menschen, die länger arbeiten müssen, ja auch angestellt werden. (Die Probleme der Ü-50-Arbeitslosigkeit und der Jugendarbeitslosigkeit sind anscheinend bei den Befürwortern der AHV21 auf magische Art und Weise über Nacht verschwunden.)

Auch nicht in die Gleichung eingeflossen ist der Fakt, dass ein Drittel aller Kinder unter 13 Jahren von ihren Grosseltern unbezahlt betreut werden.

Stossend ist dieser von (Jung)liberalen und Banken angeführte Generationenkrieg vor allem aber auch, weil sie verschweigen, dass die AHV das grösste Entlastungspaket für die Jugend in der Geschichte dieses Landes war und ist.

Dank der Einführung der AHV wurde auch das Lebensrisiko Alter staatlich abgesichert. Vor der Einführung der AHV, als es lediglich eine private nicht obligatorische Versicherung gab, waren es die Jungen, die ihre Eltern und Grosseltern finanzieren mussten.

Auch nicht in die Gleichung eingeflossen ist der Fakt, dass uns in diesem Land 25’000 Kitaplätze fehlen. Dass ein Drittel aller Kinder unter 13 Jahren von ihren Grosseltern unbezahlt betreut werden. Der Wert dieser Arbeit beträgt rund 8 Milliarden Franken. Pro Jahr. 8 Milliarden, die junge Familien nicht in die Kinderbetreuung stecken müssen. Wenn das nicht Generationensolidarität ist, weiss ich auch nicht.

Weiter argumentieren die Befürworter:innen der AHV21 damit, dass ältere Menschen ein grösseres Vermögen haben als junge Menschen.

Man sollte doch in einem der reichsten Länder der Welt erwarten, dass man es hinkriegt, ein System zu haben, in dem niemand arm ist.

Ich frage Sie, liebe Leser:innen, ist es nicht die Spitze der Perversion, wenn Menschen, die ein paar Hunderttausend im Jahr verdienen, dazu noch fett Boni und Dividenden kassieren, damit argumentieren, dass man armen Rentnerinnen nicht helfen soll, weil es mehr arme Mütter gibt? Mal davon abgesehen, dass aus armen Müttern arme Rentnerinnen werden, sollte man doch in einem der reichsten Länder der Welt erwarten, dass man es hinkriegt, ein System zu haben, in dem niemand arm ist.

Die Solidarität unter den Generationen funktioniert in der Schweiz. Was nicht funktioniert, ist die «Solidarität» zwischen den sozialen Schichten. Fragen Sie sich doch mal, wieso vor allem gut gebildete Frauen und Männer aus den oberen Schichten für die Erhöhung des Rentenalters sind und gegen die AHV schiessen.

PS: Wenn Sie Inputs und Fragen zum Thema AHV21 haben, melden Sie sich doch: tamara@tamarafuniciello.ch. Ich werde versuchen, die dringendsten Argumente in nächster Zeit in dieser Kolumne aufzunehmen.

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