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Kolumne

Wieso die UBS die AHV schlechtredet

Erschienen in der Sonntagszeitung vom 8. Mai 2022.

Grosse Akteure schüren regelmässig Ängste vor einem baldigen Kollaps der Altersvorsorge. Doch diese schreibt bessere Zahlen als prognostiziert. Eine Erklärung.

Es ist schon einen Monat her, da habe ich um Inputs und Fragen zur AHV gebeten. Ich habe Hunderte Zuschriften bekommen (danke vielmals!) und werde nun versuchen in den nächsten Monaten möglichst viele angesprochene Aspekte im Rahmen dieser Kolumne zu thematisieren.

Beginnen möchte ich bei der Frage, wie es eigentlich der AHV geht. Klar ist: Die AHV wird schlechtgeredet, seit sie eingeführt wurde. Seit bald 75 Jahren wird die AHV zu Grabe getragen, und zwar von denen, die sie eigentlich gar nie wollten.

Die UBS macht sich jedes Jahr die Mühe, eine Analyse zu publizieren, in der drinsteht (bebildert mit dramatischen Kurven), dass die AHV eigentlich gestern schon bankrott war. Dabei ist sie nicht allein: Economiesuisse schrieb 2010: «Im mittleren Szenario wird das AHV-Kapital bereits 2030 vollständig aufgebraucht sein.» Avenir Suisse hat sogar ein eigenes Do-it-yourself-AHV-Berechnungtool erstellt. Wenn es nach dem ginge, müsste die AHV seit 2020 in den roten Zahlen sein. Und auch der Bundesrat lag regelmässig daneben: In den Prognosen von 2000 sah er für das Jahr 2010 rund 4 Milliarden Defizite voraus. Die AHV verzeichnete ein Plus von 643 Millionen Franken.

Kurz: Die AHV macht das, was sie schon immer gemacht hat. Sie bleibt stabil.

Die AHV steht vor Herausforderungen aufgrund der Babyboomer-Generation, das stimmt.

Gleiches gilt für heute. Die Prognose für die AHV fürs Jahr 2020 waren schlecht. Die AHV hat letztes Jahr 2,6 Milliarden Gewinn geschrieben. Im Jahr zuvor waren es 1,6 Milliarden. Wie kann das sein?

Die AHV schreibt bessere Zahlen als prognostiziert, weil der Bund lange mit sehr schlechten Prognosen für die Bevölkerungsentwicklung rechnete. So ging er im Jahr 2000 mehr oder weniger davon aus, dass niemand mehr in die Schweiz einwandern würde. Zweitens unterschätzte die bundesrätliche Prognose jeweils die Dynamik des Schweizer Arbeitsmarktes. So rechnet der Lohnindex vom Bund die Lohnentwicklung eines Beschäftigten bei gleichbleibendem Beruf. Dass aber Menschen in zehn Jahren vom Hilfsarbeiter auf dem Bau zum Maschinenführer aufsteigen können, wird in den Szenarien komplett ignoriert. Nach dem grandiosen Scheitern der AHV-Reform 2010 wurden gewisse Aspekte angepasst – doch die Prognosen des Bundes bleiben düsterer als die Realität.

Doch das ist eigentlich «old news». Wieso also schüren die UBS und Co. weiter Ängste vor einem baldigen Kollaps der AHV?

Die Antwort ist so perfide wie simpel. Weil Banken, Versicherungen und ihre Vertreter davon profitieren. Sie, geschätzte Leser*in, sehen wahrscheinlich genauso wie ich überall in den sozialen Medien Werbung für eine «Sichere Altersvorsorge», für eine dritte Säule und für andere Anlagemöglichkeiten, oder finden es bei sich zu Hause in der Post.

Wenn ich davon ausgehen würde, dass die AHV stabil bleibt und ich eine Rente haben werde, die zum Leben reicht, wieso soll ich dann mein Geld in so was investieren?

Ich würde es nicht tun.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin nicht naiv. Die AHV steht vor Herausforderungen aufgrund der Babyboomer-Generation, das stimmt. Doch diese Lücke würde sich zum Beispiel füllen lassen, wenn man Frauen und Männern gleichen Lohn für gleiche Arbeit geben würde. Nun fragen Sie sich, wieso niemand dafür Werbung macht.

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