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Kolumne

«Warum so männerfeindlich?»

Erschienen in der Sonntagszeitung vom 3. Juli 2022.

Das Abtreibungsurteil des höchsten Gerichts der USA ist kein historischer Unfall. Der Abbau von Frauen- und Minderheitenrechten hat System.

Letzte Woche wurden die reproduktiven Rechte von Frauen und Menschen, die gebären können, in den USA massiv eingeschränkt. Der fehlende Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen bedeutet unvorstellbar viel Leid. Es ist wichtig, dass wir verstehen, dass das nicht einfach so passiert ist.

Es ist kein historischer Unfall, dass es am Supreme Court eine Mehrheit gibt für einen Entscheid, der nichts anderes bedeutet, als dass zahlreiche Frauen sterben werden. Es ist das Resultat einer rechtskonservativen frauen- und LGBTQAI- feindlichen Ideologie, die nicht nur an den Schalthebeln der Macht (oder zumindest nicht weit davon entfernt) sitzt – sondern die als historisches Relikt in all unseren Köpfen, in unserer Kultur verankert ist.

Um es in den Worten der Philosophin Simone de Beauvoir zu sagen: «Vergesst nie, dass es nur einer politischen, wirtschaftlichen oder religiösen Krise bedarf, um die Rechte der Frauen infrage zu stellen.» Jeder Rechtsrutsch einer Gesellschaft beginnt mit dem Abbau der Frauen- und Minderheitenrechte. Beginnend mit einer Diskursverschiebung.

Zu dieser Diskursverschiebung gehört es, die Bedürfnisse von Frauen und Minderheiten nach Sicherheit und Schutz vor Diskriminierung als «zu aggressiv», «zu laut», «zu fordernd» zu bezeichnen sowie das Gefühl zu vermitteln, es sei nun nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

Aktuelles Beispiel: «Es ist Krieg – und ihr wollt Geld für Frauenhäuser? Was fällt euch ein?» Letztes Jahr sind 25 Frauen durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners getötet worden. Seit mindestes 50 Jahren ist in der Schweiz aber niemand an den Folgen eines Luftangriffs gestorben.

Sinnbildlich ist es auch, einen Satz wie «Warum so männerfeindlich?» in die Kommentarspalte unter einen Artikel über Gewalt an Frauen zu posten. Bereits die Nichterwähnung von Männern wird als männerfeindlich bezeichnet, was nur schon deshalb absurd ist, weil die gleichen Typen nicht gendern, denn schliesslich sind ja alle mitgemeint.

Jedes Mal, wenn jemand «Genderwahn» schreibt, wird ein Nagel in den Sarg einer Frau eingeschlagen, die an den Folgen einer illegalen Abtreibung sterben wird.

Man versucht, so den Frauen einzureden, dass ihre Anliegen unberechtigt sind, dass ihre Ansprüche keine Legitimation haben, weil sie angeblich nicht für alle Gültigkeit haben. Was völlig unsinnig ist vor dem Hintergrund, dass Politik per se die Organisation von Partikularinteressen ist. Niemand würde auf die Idee kommen, Markus Ritter, Präsident des Bauernverbandes, Fabrikarbeiterfeindlichkeit vorzuwerfen, weil er diese nicht erwähnt.

Weniger als 5 Prozent der Menschen in diesem Land sind Bauern. Über 50 Prozent sind Frauen, inter, nonbinäre oder trans Menschen.

Während man in Kommentarspalten liest, dass es nun endlich genug sei mit dem Feminismus und «diesem Frauenzeug», werden gleichzeitig die Rechte von Frauen reell angegriffen.

Das müssen wir verhindern. Wir müssen uns bewusst sein: Jedes Mal, wenn jemand «Genderwahn» schreibt, wird ein Nagel in den Sarg einer Frau eingeschlagen, die an den Folgen einer illegalen Abtreibung sterben wird. Jedes Mal, wenn jemand «woke» schreit und damit den Kampf für die Rechte von Minderheiten abwertet, wird der Boden vorbereitet für einen Anschlag wie jener von Oslo. Jedes Mal, wenn Linke «Identitätspolitik» schimpfen, wird die Rechte gestärkt.

Geschichte ist nicht linear. Wir können immer zurückfallen. Seien wir wachsam. Wehret den (Wieder-)Anfängen!

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