Erschienen in der Sonntagszeitung vom 31. Juli 2022.
LGBTQ*-Menschen müssen sich gut überlegen, wohin sie reisen. Selbst in Ländern, in denen Homosexualität nicht explizit verboten ist, sind sie nicht in jedem Fall sicher.
Ich schreibe diese Zeilen in einem herzigen Städtchen in Spanien. Ich sitze auf einer sonnigen Plaza in einem Café, meine Freundin auf einem Stuhl neben mir liest ein Fantasybuch über Magierinnen (wir sind schliesslich Feministinnen), ihre Hand ruht locker auf meinem Knie.
Normal, könnte man meinen. Ferien halt. Normal, wenn es nicht diesen einen kleinen Moment gegeben hätte, bevor wir uns gesetzt haben.
Den Moment, in dem wir die Leute um uns angeschaut haben, in dem wir uns gefragt haben, wie sie wohl reagieren werden, wenn wir Händchen halten oder uns sogar küssen. Links sitzt eine Familie mit drei Kindern, zu beschäftigt, um uns wahrzunehmen. Rechts ein älteres Pärchen; er zieht kurz die Augenbrauen hoch und mustert meine Freundin und fragt sich offensichtlich, ob sie ein 16-jähriger Mann ist (sie hat kurze Haare und zieht sich «männlich» an, was das auch immer heissen mag) oder ob sie doch eine Frau ist; irritiert blickt er zu mir – Pädophile oder Lesbe? Das ist hier die Frage. Er bleibt unschlüssig – gut findet er aber die Gesamtsituation offensichtlich nicht. Seine Begleitung sieht betont weg. Drei junge Menschen, die auf einer Bank sitzen, schauen uns interessiert an.
Der Aufenthalt im Café könnte mühsam werden, wenn der Herr neben uns sich dafür entscheidet, seiner Irritation nachzugeben und meine Freundin zu fragen (oder auch mich, in Zeiten grosser Not muss man erfinderisch bleiben), was sie denn nun zwischen den Beinen hat. Aber Gewalt werden wir hier keine erfahren. Wir sitzen also ab.
Wenn ich von Sicherheit rede, dann rede ich vom Privileg, solche Überlegungen nicht machen zu müssen, sondern sich einfach setzen und an den Fruchtsäften erfreuen zu können.
Ich habe das Privileg, entscheiden zu können, ob ich in ein Land in die Ferien gehe oder nicht. Andere sind genau in diesen Ländern gefangen.
Doch solche Überlegungen gehören für uns dazu. Bevor wir in ein Land in die Ferien gehen, ist der erste Schritt, zu prüfen, ob unsere Liebe in diesem Land legal ist. In 69 Ländern weltweit wird Homosexualität strafrechtlich verfolgt, in 11 Ländern droht gar die Todesstrafe. Ist Homosexualität nicht explizit verboten, heisst das noch lange nicht, dass wir sicher sind. Thailand galt lange als sicheres Reiseziel für LGBTQ*-Menschen – seit dem Militärputsch 2014 wird von Polizeirazzien an Schwulenpartys berichtet, obwohl sich an der rechtlichen Lage nichts geändert hat. Aber auch in europäischen Ländern wie Ungarn und Polen hat die Sicherheit abgenommen, Berichte über Hate-Crimes nehmen zu.
Für uns heisst das: Wir checken zuerst die rechtliche Lage, suchen aktuelle regionale Zeitungsartikel und versuchen Erfahrungsberichte aus der Community vor Ort zu erhalten. Dann suchen wir nach queerer Kultur – denn queere Kultur heisst Sicherheit. Clubs, Bars, Cafés, Begegnungszentren. Räume, in denen man nicht überlegen muss, sondern einfach frei sein kann. Erst wenn wir solche gefunden haben, prüfen wir alles Weitere.
Dies alles schreibe ich in der relativen Sicherheit eines westeuropäischen Landes, mit dem Privileg, entscheiden zu können, ob ich in ein Land in die Ferien gehe oder nicht. Andere sind genau in diesen Ländern gefangen.
Unser grummeliger Tischnachbar ist in der Zwischenzeit aufgestanden. Er rempelt dabei meine Freundin an – entschuldigen tut er sich nicht. Ich seufze, überlege mir, ob es den Streit wert wäre. Meine Partnerin legt ihre Hand auf meine und meint «Wir haben Ferien».
Sie hat recht. Doch nach den Ferien gibt es noch viel zu tun.
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