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Nur Ja heisst Ja!

Mindestens 59 Prozent der Frauen in der Schweiz wurden bereits sexuell belästigt; 800 000 Frauen haben sexuelle Handlungen gegen ihren Willen erlebt; 430 000 Frauen wurden vergewaltigt. Nur rund 8 Prozent der Vergewaltigungen werden angezeigt; dies aus Scham, aus Angst, keine Chance zu haben, aus Angst, dass man ihnen nicht glaubt oder alles schlimmer macht. Hinter jeder dieser Zahlen stecken Leidensgeschichten, die das Leben dieser Menschen massgeblich prägen oder verändern können. Dessen sollten wir uns heute bewusst sein, wenn wir diese Diskussion führen.

Wenn wir von sexualisierter Gewalt sprechen, dann sprechen wir nicht über ein Randphänomen in unserer Gesellschaft. Wir reden von der Normalität für über die Hälfte der Bevölkerung. Selbst bei Vergewaltigungen reden wir von einem Massenphänomen. Es ist an der Zeit, dass wir diese Gewalt ernst nehmen, dass wir nicht mehr so tun, als wäre dies ein Kavaliersdelikt. Es ist an der Zeit, dass wir uns vom Ballast der Vergangenheit befreien. Denn in der Vergangenheit war gesellschaftlich, politisch und juristisch klar: Der Körper einer Frau gehört ihrem Mann. Dies zeigt sich daran, dass Vergewaltigung in der Ehe lange nicht strafbar war. Es ist an der Zeit, dass wir uns klar werden, dass unser Sexualstrafrecht auf den sexistischen Grundgedanken und Erwartungen fusst, dass Frauen eine Verantwortung tragen, ihre Ehre und somit die Ehre ihrer Familie zu schützen. Genau darum steht heute noch in unserem Strafrecht, dass Opfer sich gegen ihren Vergewaltiger wehren müssen – sonst ist es keine Vergewaltigung.

Heute haben wir die Chance, diesen Ballast endlich dorthin zu befördern, wo er hingehört: auf den Müllhaufen der Geschichte. Wir haben die Möglichkeit, diesen Grundgedanken aus unserem Strafgesetzbuch zu streichen. Wir haben die Möglichkeit, anzuerkennen, dass Opfer von Vergewaltigungen keine Mitschuld an dem tragen, was ihnen angetan wird. Wir haben die Möglichkeit, festzuhalten, dass der Körper von Menschen, und im Spezifischen von Frauen, kein Selbstbedienungsladen ist.

Das alles können wir, wenn wir heute die Zustimmungslösung, die «Nur Ja heisst Ja»-Lösung, ins Gesetz schreiben. Juristisch ist der Unterschied zwischen den beiden Varianten, mit Ausnahme des Freezing, verschwindend klein. Gesellschaftlich und politisch aber senden wir andere Signale aus. Und ja, es sind wichtige Signale. Das heutige Strafrecht wie auch die «Nein ist Nein»-Lösung gehen davon aus, dass die Körper so lange für andere zugänglich sind, bis sich die Betroffenen entweder aktiv dagegen wehren oder Nein sagen.

Die Zustimmungslösung geht von der Selbstverständlichkeit aus, dass nur sexuelle Interaktionen erwünscht sind, die von allen Beteiligten gewollt werden; genau so, wie es selbstverständlich ist, dass wir, ohne zu fragen, kein Geld aus einem fremden Portemonnaie nehmen, weil es sonst gestohlen ist; genau so, wie es selbstverständlich ist, dass wir, ohne zu läuten, nicht in ein fremdes Haus eintreten, denn sonst ist es Hausfriedensbruch. Wieso sollen meine Wohnung und mein Portemonnaie besser geschützt sein als mein Körper? Wieso ist es selbstverständlich, zu fragen: Ist hier noch frei? Darf ich dein Handy ausleihen? Darf ich reinkommen? Aber die Frage, ob beim Sex alles in Ordnung ist, ist eine unüberwindbare Hürde. Ich sage es Ihnen: weil Frauen lange nicht über ihren eigenen Körper entscheiden durften. Bereiten wir dem endlich ein Ende.

Um es nochmals deutsch und deutlich zu sagen: Niemand will eine App oder Verträge für Sex einführen, es gibt keine Umkehr der Beweislast und ja, wir wissen, dass wir sexualisierte Gewalt mit dieser Revision nicht beenden werden. Dennoch ist sie ein wichtiges Puzzleteil zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung der Menschen und zum Schutz vor sexualisierter Gewalt. Denn wir schreiben ins Gesetz, was selbstverständlich ist: Mein Körper gehört mir.

Wir sind mit dieser Revision einen weiten Weg gegangen. Das möchte ich zum Schluss noch würdigen. Denn sie ist das Verdienst der feministischen Bewegung, von unzähligen Aktivistinnen, Betroffenen, NGO und Juristinnen. Dank ihnen können wir heute von einem historischen Tag sprechen. Denn egal, wie es kommt, wir haben es geschafft, sexualisierte Gewalt auf die Agenda zu setzen. Wir können heute entscheiden, ob wir als Schweiz das vierzehnte Land in Europa sein wollen, das die Zustimmungslösung annimmt. Entscheiden wir uns also für das Vorwärtsgerichtete, für das Richtige, für das Selbstverständliche.

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