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Kolumne

Aus Wut wird Widerstand

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 10. Juni 2021.

Weit über 100’000 Menschen haben am 14. Juni ein starkes Zeichen gesetzt. Wir müssen diese Energie mitnehmen, denn wichtige feministische Kämpfe stehen uns bevor.

Über 120’000 Menschen haben sich am Montag zum Jubiläum des feministischen Streiktags die Strassen genommen. Ein kräftiger Aufschrei mit Nachhall.

Von St. Gallen bis Genf haben wir unsere bezahlte und unbezahlte Arbeit niedergelegt, gestreikt, getanzt, demonstriert und unsere Forderungen bekundet. Denn in den letzten zwei Jahren hat sich punkto Geschlechtergerechtigkeit sozusagen nichts bewegt, und der politische Wille für Veränderung bleibt inexistent.

Und so kam der 14. Juni dieses Jahr genau zum richtigen Zeitpunkt: mitten in der Sommersession, in der die bürgerliche Mehrheit ihre Ignoranz für feministische Anliegen mit der Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 und dem damit verbundenen Rentenabbau erneut unter Beweis stellte.

Aufschrei der feministischen Bewegung

Der vergangene Montag war ein Aufschrei der feministischen Bewegung: Getragen von der Wut über anhaltende sexistische Gewalt, erstickende Erfahrungen von Mehrfachdiskriminierung und ungenügende Arbeits- sowie prekäre Lebensbedingungen; ausgelöst durch die Gleichgültigkeit und das Wegsehen der Personen in Machtpositionen.

Als ich nach der Session aus dem Bundeshaus auf den überfüllten Bundesplatz trat und vor über 30’000 Mitstreiter*innen eine Rede halten durfte, war ich überwältigt. Veränderung lag in der Luft. Ich spürte die Wut und den Frust der Anwesenden, aber auch einen starken Kampfgeist, Hoffnung und allem voran Solidarität.

Dieses Solidaritätsgefühl müssen wir als Bewegung weitertragen. Es ist höchste Zeit, dass wir nicht nur die eigenen Diskriminierungserfahrungen, sondern auch jene unserer Mitmenschen sehen. Feminismus heisst, für die Befreiung aller zu kämpfen: Das umfasst die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Sexarbeitenden und Migrant*innen sowie antikapitalistische, antirassistische und queere Kämpfe.

Und Feminismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die jede*n von uns etwas angeht, auch die Cis-Männer unter uns: Hört den Menschen zu, die Sexismus erleben, hinterfragt das eigene Handeln und setzt euch aktiv ein für Veränderung.

Den Mächtigen gehen die Strategien aus

Wir stehen als Gesellschaft vor einem Wendepunkt. Die grosse Mehrheit wünscht sich einen systemischen Wandel und kämpft für das Ende von Unterdrückung.

Wir müssen die Energie von vergangenem Montag mitnehmen, denn wichtige feministische Kämpfe stehen uns bevor. Dazu gehören die Abstimmung über die Ehe für alle im September, das kommende Referendum zur AHV 21 und die Revision des Sexualstrafrechts.

Einige wenige versuchen verzweifelt, sich an ihre schwindende Macht zu krallen und uns mit Beschimpfungen und Gewalt Angst zu machen. Aber die Revolution in unseren Herzen hat schon lange begonnen. Obwohl homofeindlich motiviert, macht es uns nichts, wenn ihr uns «Lesbenverein» nennt. Unser «Verein» feiert Lesben und übrigens auch alle anderen Identitäten, die euch offensichtlich zutiefst verunsichern.

Und so gehen den Mächtigen ihre Strategien aus. Denn an all jene, die uns zwar nicht aktiv beschimpfen, sondern die Strategie «einfach wegsehen, bis sie wieder weggehen» verfolgen, habe ich auch eine Nachricht: Unsere Wut wird zu Widerstand. Wir gehen nicht mehr weg. Wir werden nur noch lauter und immer mehr. Gewöhnt euch besser daran!

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